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Die Welt ist groß und klein II

Sonntag, 15. April 2012 in Santa Maria Belém do Pará. Bei Maria Callas in "I Vespri Siciliani"
unter Erich Kleiber.

Was meine ich eigentlich mit diesem Satz, dass die Welt groß und klein sei? Ich schrieb das ja bereits vor zwei Tagen, ohne es zu erklären. Oder besser gesagt, ich habe mich in dem so überschriebenen Blog-Beitrag eigentlich nur mit der ‚kleinen Welt‘ befasst. Ich habe nämlich nur über mein Buch geschrieben, nur über meine Arbeit mit dem Übersetzer Jan Oldenburg, über Probleme der Wortwahl, über Alliterationen usw. Nun ist das natürlich wichtig, denn deshalb bin ich ja hierher an den Amazonas gereist, schon klar. Aber eigentlich tue ich damit nichts anderes als z.B. meine Nachbarn, die ihre Katze füttern, ihren Wagen waschen, den Einkauf erledigen usw. Gut, das müssen wir alles tun. Man könnte sagen, dass diese ‚kleine Welt‘ uns regelrecht festhält und fesselt. Man muss ihr dafür nicht böse sein, denn wenn es nicht so wäre, dann geriete mit Sicherheit in unserem Leben einiges aus den Fugen.

Teatro da Paz, Belém

Aber ich denke, dass man sich auch immer bewusst sein sollte, dass die Welt zugleich groß ist. Sehr groß sogar. Mein Besuch in Brasilien macht mir das seit Tagen mal wieder auf besonders deutliche Weise bewusst. Sie ist so groß, dass man angesichts ihrer selbst von einer Sekunde auf die andere ganz verschwindet oder doch zumindest verschwinden könnte. Oder anders gesagt, wie ich es einmal in einem Gedicht geschrieben habe, als die Liebste und ich vor Jahren nach Santiago di Compostella fuhren, das Reisen zeigt uns, „dass die Welt uns nicht kennt und nicht braucht“.

Und das ist eine heilsame Erfahrung. Man muss nämlich begreifen lernen, dass man klein ist. Man erkennt das nicht auf einmal, man muss mit der Nase darauf gestoßen werden. Und selbst dann, wenn das passiert, kann man sich immer noch lange damit zu retten versuchen, dass man es irgendwie weglügt, indem man auf seine eigene Wichtigkeit und Größe zu pochen beginnt. Du meine Güte, was habe ich in dieser Hinsicht nicht alle angestellt! Die Liebste weiß es. Sie sieht mich z.B. bestimmt noch in einer Nacht des Jahres 94 in Moskau zornig weinend unterm dem Puschkin-Denkmal sitzen und verlangen, dass ich sofort, SOFORT ! nach Hause will. Es war absolut alles zu viel für mich. Zu groß, zu schlimm, zu elend, ohne meinen gewohnten Komfort. Meine kleine Welt, die ich im Kopf mit mir herumtrug, die wollte sich keinesfalls weiter stören lassen von den Unmöglichkeiten der großen Welt, die mich nicht kannte und deshalb auch keine Rücksicht auf mich nahm. Hatte ich nicht schon die Fürchterlichkeiten in Sibirien ertragen? Und jetzt dieses Moskau, in dem während der Gortbatschow-Zeit alles drunter und drüber ging und alte Mütterchen dadurch zu überleben versuchten, dass sie vor den U-Bahn Eingängen halb verwelkte Stiefmütterchen verkauften.

Sorry, das Programm hat mir gerade den ganzen Rest des Textes gekillt. WordPress hat seit einiger Zeit eine Fehlfunktion, sodass ich nun mit den Stiefmütterchen ende. Es ist mir zu mühsam, all das, was ich sonst noch geschrieben hatte, nun ein zweites Mal zu schreiben. Vielleicht reicht es ja auch, um das ‚groß und klein‘ zu erklären.

Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker