Nach 35 Jahren – und die Biografie, die eigene
Donnerstag, 16. Mai 2024, bei Vague von Anouar Brahem
Gestern starb der Nachbar, ein kleiner Mann, der zuletzt kaum noch über seine Hecke schauen konnte, 91 Jahre ist er alt geworden. Er hat diesen Geburtstag noch mit einigen Anwohnern aus unserer Straße gefeiert und dabei verkündet, dass danach für ihn Schluss sein solle. Es waren dann tatsächlich nur noch wenige Tage. Gedacht soll seiner werden.
Er hatte wohl auch nichts mehr, was er hätte verpassen können. Mir geht es da zumindest etwas anders, denn ich schaue im Grunde, trotz meiner Krankheiten und Behinderungen, immer noch mit Neugierde in jeden neuen Tag. Manches überrascht dann aber doch, so die Postsendung des Freiburger Komponisten Otfried Büsing, der mir ein Belegstück der Partitur seiner Komposition »Festival« schickte, für die ich das Libretto geschrieben habe. Das Verwunderliche daran ist der Umstand, dass ich das Libretto vor genau 35 Jahren schrieb, in Rom, wo wir beide uns in der Deutschen Akademie, Villa Massimo trafen und zur Zusammenarbeit fanden. Ich habe mich über die Partitur selbstverständlich gefreut, war aber doch froh, dass ich darauf nicht gewartet hatte. Und auch, dass ich nicht so nachlässig gewesen bin, vor ihrem Eintreffen zu sterben; Gelegenheit hätte ich dazu wahrhaftig oft genug gehabt.
Einen ebenfalls tief aus der Vergangenheit stammenden Schatz, nämlich aus meiner Erinnerung, konnte ich am vergangenen Freitag bergen, als ein Filmteam den Tag bei uns im Haus verbrachte, um ein Autorenporträt von mir und meiner Liebsten aufzuzeichnen. Dabei sind auch aktuelle Fotos von mir entstanden, die mir deutlich zeigen, wie sehr mir die Zeit, dieses gefräßige Tier, zugesetzt hat. Nun, ich werde geduldig bleiben.
Der Film ist recht lang ausgefallen, sodass er in drei Teilen zu je einer halben Stunde Sendezeit ausgestrahlt werden wir; bundesweit im Kabel-Fernsehen. Ich werde die Links zu den drei Teilen, sobald sie mir vorliegen, hier einstellen.
Dem Produzenten Rüdiger Heins schon jetzt meinen Dank für dieses Porträt, von dem ich hoffe, dass es auch ein bisschen den Background öffnet für meinen biographischen Roman »Ein paar Dinge, die ich über mich, meine Eltern und Auschwitz weiß«, der zur diesjährigen Herbstmesse erscheinen wird.
So, das soll es für heute mal sein. Ich werde jetzt in den Garten gehen, um nach dem Dauerregen der vergangenen Nacht noch etwas von der Sonne auf meinem Gesicht einzufangen.
Bleiben Sie glücklich
wünscht PHG