REZENSIONEN
Gunter Gerlach – Ein Orwell mit Humor
Eine Erinnerung – aus Anlass der neuen Erzählsammlung „Ein falsches Wort und du bist tot“ von Gunter Gerlach
von Peter H. E. Gogolin
Am besten gebe ich es direkt zu: Ich bin so voreingenommen, wie man es nur sein kann, denn ich liebe die Geschichten von Gunter Gerlach. Und nicht erst seit heute, sondern seit bald vierzig Jahren. Und natürlich will ich etwas Werbung machen, für Gunters jetzt letztes Buch, die Erzählsammlung »Ein falsches Wort und du bist tot«, die Sie, verdammt nochmal, lesen sollten. >>>> weiter lesen
Aus der Bibliothek der Erinnerungen
zu Ursula Stingelins Zeichnungen und Texten „Bleischwer & Federleicht“
von Peter H. E. Gogolin
Vor Jahren arbeitete ich mit Ursula Stingelin an ihrem ersten Roman, der dann unter dem Titel »Der Flügelschlag des Bläulings« erschien. Ich war damals gleich überzeugt von dem Buch, weil mich die intensive Atmosphäre in Bann schlug und die plastischen Beschreibungen fesselten. Es war ein Buch, das sich auf der Grenze zwischen Realismus und Phantastik bewegte. Wobei man als >>>> weiter lesen
Durch das Gitter gesprochen
zu Werner Söllners Gedichtband „Knochenmusik“
von Peter H. E. Gogolin
Nachdem ich Werner Söllners Gedichte erstmals gelesen hatte, kamen mir in den Wochen danach alle anderen Gedichte wie geschminkt und parfümiert vor.
Es war mir, als habe da ein Autor die Kruste aus sprachlichen Konventionen durchbrochen, unter >>>> weiter lesen
Ein faszinierendes Spiel mit Identitäten
Bitte begehen Sie jetzt keinen Irrtum. So
wirklich meine Erinnerungen an damals
sind und so wenig ich sie als meine eigenen
leugnen kann, so sicher ist, ich kann mich nur
wiederholen, daß ich, Alban Nikolai Herbst,
niemals in Venezuela gewesen bin.
Das Verlangen nach Rückkehr
Giorgos Seferis‘ großer Lyrikzyklus „Logbücher I – III“
„Mein Leben steht zur Verfügung;
keiner will es haben.“
Seferis: Tagebücher, Mai 1937
Ende 1939, als Henry Miller nach fünf Reisemonaten in Griechenland, die er als die bedeutendste geistige Erfahrung seines Lebens bezeichnete, mit dem Schiff nach New York zurückreiste, vertraute er sein Reisetagebuch dem zum Freund gewordenen Dichter und Diplomaten Giorgos Seferis an und widmete ihm das handschriftlich Manuskript mit den Worten: »Kleine Gedanken von unterwegs über Griechenland, die Griechen und andere … >>>>weiter lesen
Existentialismus: Dem Sinnlosen einen Sinn abtrotzen
Shakespeare lässt im 2. Akt von »Wie es euch gefällt« den melancholischen Jacques sagen:
Die ganze Welt ist Bühne
Und alle Fraun und Männer bloße Spieler.
Sie treten auf und gehen wieder ab.
Sein Leben lang spielt einer manche Rolle
Durch sieben Akte hin.
Das klingt einigermaßen ausweglos, obwohl der Dichter in seinem Stück niemanden als Verursacher dieser sieben Akte des menschlichen Daseins benennt. Zwar ist auch nicht davon die Rede, dass »einer manche Rolle« frei wählen könnte, aber das wäre für seine Zeit, in der ein Leben ohne Transzendenzbezug schier unmöglich war, wohl auch zu viel verlangt; bis Nietzsche die Beobachtung machte, dass Gott tot sei, brauchte….. >>>>weiter lesen
Kein schöner Land in dieser Zeit
Wenn sich unter roten Lager-Containern eine offensichtlich orientierungslose Menschengruppe, Samsonite-Koffer hinter sich her ziehend, zögernd auf die Bühne bewegt, glaubt man spontan, hier habe eine deutsche Fluglinie Pleite gemacht und ihre Passagiere im Niemandsland der globalen Urlaubswelten ausgespuckt.
Nein, stimmt gar nicht, hier soll es um die weltweite Flüchtlingstragödie gehen, die uns alle seit spätestens 2015 beschäftigt und in Zukunft wohl noch so viel mehr beschäftigen wird, dass schon diese Eingangsszene seltsam dimensionslos und vor allem völlig hilflos wirkt. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass von allem Anfang an Wolken von Bühnennebel über diese Szene treiben, deren Sinn sich zwar für die Handlung (Handlung?) nicht erschließt, doch bis zum Schluss das Große Haus völlig geflutet haben und wohl auch beim letzten Zuschauer die Aversion gegen die Räucherstäbchen der späten 60ger und 70ger Jahre wieder aktiviert haben dürften. Was geht hier vor?
Nun, in Wiesbaden hatte am Samstag »Schönerland«, die erste große Oper des 1973 geborenen >>>> weiter lesen
Türöffner für Nietzsches Philosophie?
In der angeblichen Exklusivität der Philosophie, die so viele mutmaßen lasse, es ginge auch ohne philosophisches Denken, schrieb Peter Sloterdijk, spiegele sich »die Selbstausschließung der meisten vom Besten«. Wie also, wenn schon nicht die meisten, so doch zumindest mehr Leser »zum Besten« bringen?
Im Falle Nietzsches, der vorschlug, man solle das Leben tanzen und oft genug das Denken zum Tanzen gebracht hat, wäre das neue Sonderheft des Berliner ›Philosophie Magazins‹ ein Zugang, der zwar nicht die Lektüre des Werkes ersetzt, aber dem interessierten Leser sicher als Türöffner dienen kann. >>>> weiter lesen
Das Verschwinden der „Nestbeschmutzer“ –
zu Uwe Friesels Essays
Dass Günter Grass zu Jahresbeginn, kurz vor seinem Tod, die jüngere Autorengeneration aufrief, endlich wieder mehr Zivilcourage zu zeigen und sich in die öffentlichen Diskussionen einzumischen, war wohl so notwendig wie sinnlos.
Die Rolle des streitbaren Intellektuellen ist lange schon unbesetzt, ja, der Intellektuelle selbst vegetiert nur noch als pejorative Zuschreibung dahin; wer möchte sich da outen und rufen »Ich bin ein Intellektueller mit einer kritische Meinung! Und das ist auch gut so!« Eine Gesellschaft, die eben diese Meinung durch den besinnungslosen Like-Reflex in den sozialen Medien ersetzt hat, würde darüber bestenfalls müde lächeln. Grass’ Aufruf weckte deshalb in mir einen doppelten Verdacht. … >>>> weiter lesen
Am Beispiel der Dinge: Zwanzig Reisen in »Shakespeares ruhelose Welt«
Neil MacGregors Archäologie des impliziten Wissens
Wären wir nicht immer schon mit einem Vorwissen von uns und unserer sozialen Wirklichkeit ausgestattet, wir wüssten vermutlich nicht einmal, was wir mit einer roten Ampel anfangen sollten. Zum Glück sind wir keine Kaspar Hausers und schwimmen jederzeit in einem uns bekannten Ozean von Zeichen, Normen, Bedeutungen und sozialen Signalen aller Art, die uns überhaupt erst zu gesellschaftlichen Wesen machen und – im Falle, dass wir sie missachten – als ‚Anormale‘ deklassieren. Michel Foucaults Philosophie, die eine Archäologie des Wissens zum Ziel hatte, hat diesen Zusammenhang im historischen Wandel vor allem für das 18. und 19. Jahrhundert aufgedeckt. Fokussiert auf das 16.Jahrhundert Shakespeares hat nun Neil MacGregor, der ehemalige Leiter der National Gallery in London und jetziger Direktor des Britischen Museums, mit „Shakespeares ruhelose Welt“ eine kulturhistorische Studie vorgelegt, die … >>>> weiter lesen
Wer trinkt unser Blut? Die Wächter der Nacht
Einer der erfolgreichsten russische Autoren der Gegenwart dürfte wohl Sergej Lukianenko sein, der mit dem Roman „Wächter der Nacht“ einen Millionen-Bestseller geschrieben hat. Die Nachfolgebände sind nicht minder erfolgreich, und der Film, für den mit der Behauptung geworben wurde, er sei so etwas wie der Herr der Ringe und Matrix in einem, war ebenfalls sehr erfolgreich.
„Wächter der Nacht“ ist ein Buch, in dem Vampire, Gestaltwandler, Tiermenschen, Hexen … >>>> weiter lesen
Das Alphabet des Ben Sira
Im Marix Verlag ist als zweisprachige hebräisch-deutsche Textausgabe die erste deutsche Übersetzung des Buches “Das Alphabet des Ben Sira” erschienen, das die am Institut für Jüdische Studien an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität lehrende Professorin Dagmar Börner-Klein übersetzt und herausgegeben hat.
Das Alphabet des Ben Sira ist ein Weisheitsbuch der hebräischen Tradition, das nach Ansicht der Forschung wahrscheinlich … >>>> weiter lesen
Plötzlich ein Messer in der Hand
Zu Julian Schütts halber Lebensbeschreibung »Max Frisch – Biographie eines Aufstiegs«
von Peter H. E. Gogolin
Dass der 100. Geburtstag eines Schriftstellers Anlass für vielerlei Wind im Blätterwald des literarischen Feuilletons sein kann, ist verständlich. Dass auch die Biographen solche Gedenktage nach Möglichkeit nicht auslassen, ist sogar erfreulich. Der inzwischen fast ausschließlich an Events orientierte Kulturbetrieb wagt ja in der Regel ohne die verstärkende Wirkung solcher Jahrestage gar nichts mehr. Und … >>>> weiter lesen
Bekiffte Nächte in Manhattan
Jonathan Lethems skurrile Personage in seinem neuen New York Roman »Chronic City« als Fundament für ein betörendes Leseerlebnis.
von Peter H. E. Gogolin
Kennen Sie zufällig Leute, die Biller heißen? Und Penner sind? Oder Chase? Perkus Tooth? Eine lesbische Galeristin namens Naomi Kandel? – ein Schelm, der bei Kandel pornografische Phantasien bemüht. Den Dealer Foster Watt? Oona Laszlo, eine Ghostwriterin? Oder gar den Tiger, der sich normalerweise auf der East Side aufhält? Okay, um es kurz zu machen, ich …. >>>> weiter lesen
Synkopierter Trauermarsch für Brecht
Über Klaus Modicks neuen Roman »Sunset«, mit dem der Autor uns ein wunderbar intimes Porträt der deutschen Exilliteraten in Amerika gezeichnet hat.
von Peter H. E. Gogolin
»Man geht nicht zum Vergnügen ins Exil«, schrieb Alfred Kerr in seinen Briefen, aber er wusste, »nur das Vergnügen des Bleibens wär noch geringer.« Der weltweit erfolgreiche Romancier Lion Feuchtwanger und seine Frau Marta, die über Marseille, Spanien und Portugal in die USA geflohen waren und seit 1943 in der komfortablen kalifornischen Villa Aurora lebten, gehörten zu den Privilegiertesten unter den deutschen Exilanten. Den Neid der Kollegen … >>>> weiter lesen
Wahrer Kitsch – Auftritt Jimmy Luntz
Denis Johnson: Ein Kandidat für den deutschen Krimipreis
Von Peter H. E. Gogolin
Dem Kalender ist nie etwas anzusehen. Auch der Tag des Todes wird vermutlich ebenso unauffällig wie jeder andere beginnen; sinnlos, darüber zu jammern. Und wäre Jimmy Luntz, Kleinkrimineller und Protagonist von Denis Johnsons neuem Roman »Keine Bewegung«, nicht zu allem Überfluss auch noch ein ausgemachter Pechvogel, so wäre möglicherweise gar nichts geschehen. Vielleicht hätte es das Schicksal dabei belassen, dass er gerade wieder mal nur auf Platz siebzehn von zwanzig möglichen gelandet ist. Aber soviel Glück hat Jimmy nicht. >>>> weiter lesen
Und wenn Sie mich an der Mauer abknallen
Zu Einar Schleefs Erzählungen und Fotografien »Ich habe kein Deutschland gefunden«
von Peter H. E. Gogolin
Im Jahre 1966 stand ich auf einer Brücke vor dem Amsterdamer Hauptbahnhof und fragte eine gepflegte alte Dame, die mir kaum bis zur Brust reichte, nach dem Weg. Als Antwort erhielt ich eine derart wüste Beschimpfung, dass ich am ganzen Körper zu zittern begann und mich innerlich bis auf die Knochen erschüttert fühlte. Wie ich nur langsam begriff, war diese Beschimpfung dem Umstand geschuldet, dass ich von ihr als Deutscher erkannt worden war. Es muss … >>>> weiter lesen
Gottes Werk und Irvings Beitrag
»Ich sehe jeden verdammten Tag Dinge in meiner Fantasie, die schrecklicher sind als der 11. September.« J.I.
Peter H. E. Gogolin
über John Irvings neuen Roman »Letzte Nacht in Twisted River«
Erinnern Sie sich noch? „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“. So erzählt es zumindest das erste Buch Mose. Danach begann dann sehr schnell der ganze Schlamassel, in dem wir heute noch stecken. Hätte die Bibel, dieser große Familienroman der Menschheit, der die katastrophale Geschichte unserer Fehltritte, bösen Absichten und Fluchten erzählt, einen einzigen Autor, so müsste es unweigerlich jemand wie John Irving sein. >>>> weiter lesen
Shakespeare – der größte und erfolgreichste Betrug
Kurt Kreiler argumentiert überzeugend für die Autorschaft Edward de Veres, des 17. Earl of Oxford, an den Werken William Shakespeares.
von Peter H. E. Gogolin
Es ist ein Kreuz mit der menschlichen Unsterblichkeit. Von unseren großen Kulturheroen ist der Mythos weit größer als unser Wissen. Wer war Homer? Gewiss, wir haben die Ilias und die Odyssee. Aber hat ein Homer überhaupt gelebt?
William Shakspere (1564-1616), Sohn eines Handschuhmachers aus Stratford-upon-Avon, der kaum mehr als die Elementarschule besucht hat und doch laut Lehrmeinung der weltgewandte Autor der unter dem Verfassernamen Shakespeare bekannten Dramen, Tragödien, Lustspiele und Sonette sein soll, die ihren Autor zum Homer der Neuzeit gemacht haben, ist dafür das wohl prominenteste Beispiel. >>>> weiter lesen.
Niemand hat das Recht zu gehorchen
Irmtraud Wojak legt die Biographie des Generalstaatsanwalts und Hauptanklägers der Auschwitz-Prozesse Fritz Bauer vor.
von Peter H. E. Gogolin
Zu den „heiligen Irrtümern“ der Emigranten, die er geteilt habe, soll Fritz Bauer nach dem 2. Weltkrieg zu Gerhard Zwerenz gesagt haben, gehörte auch die Hoffnung, dass alles neu und großzügig werden könne. „Dass Deutschland in Trümmern lag, hat auch sein Gutes, dachten wir. >>>> weiter lesen
Der bisher schlechteste Krimi
von Peter H. E. Gogolin
Als ich zum ersten Mal dachte, ich hätte einen geistesgestörten Kommissar vor mir, der einen Fall zu lösen versuchte, den sich ein Autor zurechtkonstruiert hatte, der weder von den elementarsten Erfordernissen der Logik noch von den simpelsten Bedingungen der Polizeiarbeit eine Ahnung hatte, da hielt ich Fred Vargas‘ Erfolgsroman „Der vierzehnte Stein“ in Händen. Lange Zeit glaubte ich, dass dieser Tiefpunkt des Krimigenres nicht zu toppen sei. Nun bin ich eines Besseren belehrt worden. >>>> weiter lesen