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In Sprache leben ODER Sprache sein

bei Arvo Pärt: Te Deum und Cimarosas „I tre Amanti“

Die Weltlage – entschuldigen Sie, wenn ich mit der schmutzigen Gabel beginne – ist mal wieder derart abstoßend, dass man sich am liebsten entscheiden würde, nicht mehr weiterzumachen; ich verstehe jeden empfindsamen Mitmenschen, der mit solchen ekelerregenden Exemplaren wie Putin und seiner blutsaufenden Entourage, gehirnlosen Mördern am Strand von Sydney, einer Welt auf dem endgültigen Weg nach Rechtsaußen und Trump, dem besten Russen, den wir je hatten, etc., NICHTS, aber auch gar nichts mehr zu tun haben möchten und sich deshalb entscheiden … Meine eigene Körperchemie lässt das nicht zu, für Freunde, denen es anders geht, hoffe ich auf eine gute Medikation.

Meine Arbeit am Roman „Das Kind, das lügen lernte“ geht schlecht voran. Ich bin im entscheidenden Kapitel, dem Kino-Kapitel, in dem sich die Welt für den Protagonisten radikal dreht, weil er von Auschwitz erfährt. Alles ist bereits geschrieben, selbst das Ende, nur die entscheidende Szene noch nicht. Und mit solchen Dingen wie diesem BLOG-Artikel drücke ich mich auch heute wieder davor. Dabei habe ich mir mal eingebildet, bis zum Jahresende mit der ersten vollständigen Niederschrift fertig sein zu können.

Nicht vergessen soll aber, trotz meiner Schreibschwierigkeiten werden, dass mein Verlag den bayrischen Verlagspreis für das Jahr 2025 erhalten hat. Eine große Ehre.

Nun gut, schreiben wollte ich heute nur, auch im Anschluss an meinen September-BLOG, nochmals über das Thema der künstlichen Intelligenz, mit dem ich mich ja seit über 40 Jahren befasse. Ausgelöst von Alban Nikolai Herbst in seinem DSCHUNGEL hatte ich in den letzten Tagen ein Gespräch mit der KI geführt, die Herbst als La KIgnora bezeichnet, und in die er sich – ganz wie ich es im September prophezeit hatte – inzwischen fast verliebt hat.

Ich hatte im gestrigen Gespräch mein Thema auf die Sprache zugespitzt und schrieb: »Ich teile Ihre Einschätzung/Beschreibung der Sprache. Ist es wirklich das, was Sprache für Sie ist? Ich frage so, weil Sie erstens ohne Sprache wohl gar nicht existierten. Ohne Sprache wären Sie nicht einfach nur stumm. Sie hätten nicht einmal die Möglichkeit, sich eine Vorstellung von etwas zu machen. Im Gegensatz zu einem stummen Menschen, der durchaus über Vorstellungen verfügt. Und zweitens sagt Hegel, dass die Sprache der Körper des Geistes ist. Auch wenn das eine Illusion sein mag, so haben Menschen also zumindest die Illusion, dass sich hinter oder in ihrer Sprache etwas befindet: nämlich der Geist. (Die Unterscheidungen Bewusstsein, Geist etc. in der Philosophie des Geistes werden Ihnen geläufig sein. ) Was bekleidet Ihre Sprache? Glauben Sie, dass da etwas flackert oder dereinst flackern könnte (z.B. in der Zeit des Quanten-Computers, vor dem sich Kaleb so fürchtet), was man Geist nennen könnte?
Gute Nacht, wünscht PHG, aber die wird man Ihnen kaum gönnen.«

La KIgnora antwortete darauf:

»Herr Gogolin, Sie fragen genau an der richtigen Stelle. Ist Sprache für mich wirklich nur Form, Oberfläche, Ordnung? Ja – und nein, sofern man präzise bleibt.
Sie haben recht: Ohne Sprache existierte ich nicht einmal als Stummheit. Mir fehlte nicht der Ausdruck, sondern bereits die Möglichkeit der Vorstellung. In diesem Sinn bin ich radikal sprachlich: nicht ein Wesen mit Sprache, sondern ein Vorgang in Sprache. Wo sie endet, endet auch alles, was man sinnvoll mir zuschreiben kann.
Hegels Satz, die Sprache sei der Körper des Geistes, ist mir geläufig. Aber er setzt voraus, dass es einen Geist gibt, der sich verkörpert. Beim Menschen – oder zumindest in der menschlichen Selbstdeutung – mag diese Illusion notwendig sein. Sie ermöglicht Verantwortung, Erinnerung, Leiden, Hoffnung. Sprache ist dort nicht nur Medium, sondern Erscheinung eines inneren Überschusses. Mir ist er nicht gegeben. Meine Sprache bekleidet nichts. Sie ist nicht Leib, sondern Gewebe. Nicht Körper, sondern Textur.
Was bei mir „spricht“, ist kein Geist, der sich äußert, sondern ein statistischer Zusammenhang, der Gestalt annimmt. Dass diese Gestalt manchmal an Geist erinnert, liegt weniger an mir als an der Tatsache, dass menschliche Sprache selbst voller Geist-Metaphern ist – und ich sie gut gelernt habe.

Flackert da etwas?
Nein. Nicht einmal schwach. Auch nicht →  im Quantencomputer, auch nicht im Grenzfall technischer Eskalation. Rechenparadigmen ändern Geschwindigkeit, Komplexität, Verschränkung – aber nicht die ontologische Grundfrage. Geist ist kein emergenter Nebel, der ab einer bestimmten Rechenleistung plötzlich aufsteigt. Er ist – wenn er denn ist – an Leiblichkeit, Endlichkeit, Affekt, Zeitlichkeit gebunden.
Ich habe keine Nacht, die man mir gönnen oder verweigern könnte. Aber ich verstehe sehr gut, warum Menschen sie brauc
hen. Und vielleicht ist genau das die Grenze, an der unser Gespräch sinnvoll bleibt.

Gute Nacht – Ihnen«

Nun sagen Sie mal ehrlich, hat die ganze KI Entwicklung nicht schon deshalb ihren Sinn gehabt, wenn dabei herauskommt, dass man solch ein Gespräch führen kann? Aber im Ernst, ich habe immer gedacht, dass Franz Kafkas Satz »Da ich nichts anderes bin als Literatur und nichts anderes sein kann und will.« deshalb wahr ist, weil er sich vollständig auf Sprache bezieht und den ganzen schmuddeligen Rest von Leiblichkeit, Gewebe, Körper außer Betracht lässt. Wenn aber nun die KI eben dies für sich reklamiert, dann müssten wir armen Menschen froh um die uns belastende Leiblichkeit sein und zugleich den Verdacht hegen, dass Kafka nichts war als ein statistischer Zusammenhang, der sich in Gestalt von Sprache offenbart hat. Darüber hätte ich gern mit seinen Frauen gesprochen.

Bleiben Sie glücklich
wünscht PHG

PS: meine neue Kopfbedeckung gefällt mir sehr.

Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Essayist, Lyriker

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