
Das finale Werk
bei Ali Farka Touré mit „The Source“
„Viele Motive unseres Tuns und auch viele Triebkräfte hinter
unserem Erleben liegen im dunklen. Es kennzeichnet ein Subjekt,
daß es von der Existenz unbewußter, verborgener Motive weiß
und von der Möglichkeit, sie ans Licht zu bringen und den
Radius der Selbsterkenntnis nach innen zu vergrößern. Wenn
man sein Leben vom Ende her betrachtet, wird man das Bedürfnis
spüren, die Selbsterkenntnis zu erweitern. Sich zu fragen, was es
alles war, was man sich zu leben verboten hat, und warum. Sich
zu fragen, was die verborgenen Leitlinien des Wichtigen waren,
und woher sie stammten. (Peter Bieri)
Seit meinem letzten BLOG-Beitrag zur Frühjahrs-Buchmesse in Leipzig, auf der auch mein Buch »Die unerzählbare Geschichte« erschienen ist, sind inzwischen dreieinhalb Monate vergangen, ohne hierher zurückzufinden, ohne die Notwendigkeit zu empfinden, etwas festzuhalten, ohne Wesentliches zu schreiben – zwei, drei Gedichte aus einer Laune heraus, einige ziellose Überarbeitungen am »Kind, das lügen lernte«, aber das war auch schon alles. Dabei wuchs das Gewicht der »Unerzählbaren Geschichte« in meinem Rücken. Nun war das zu erwarten gewesen nach solch einem Buch, in dem bald zehn Jahre Arbeit steckten, Arbeit und Kampf gegen das Aufgeben, denn natürlich lag das Aufgeben in diesen Jahren Tag für Tag weit näher als die Möglichkeit, dass es jemals fertigwerden und veröffentlicht werden könnte. Von den Krankheiten in diesen Jahren, um nur das Geringste zu sagen, soll geschwiegen sein. Wie ich es trotzdem geschafft habe, ich weiß es nicht. Vielleicht deshalb – und weil ich nicht mit anderem weitermachen konnte – entstand aber auch der wenig hilfreiche Eindruck, es sei so etwas wie ein finales Werk, nachdem mir für Neues Kraft und Inspiration fehlte. Dass es anders sei, kann ich bisher nicht behaupten. Und Behauptungen sind naturgemäß eh sinnlos, nur neue Texte könnten das Gegenteil beweisen.
Doch nicht nur der verhängnisvolle Eindruck des möglicherweise bereits finalen Werkes entstand in den vergangenen Monaten. Etwas von viel größerem Gewicht stand vor mir auf, die Frage nämlich, ob das alles, betrachtet man es vom Ende her, überhaupt einen Sinn beanspruchen kann. Nun habe ich um mein Schreiben ja immer verzweifelt gekämpft, habe, ohne dramatisieren zu wollen, mein ganzes Leben dafür geopfert, die Menschen, die zu diesem Leben gehörten, ebenfalls. Und jetzt, da dieser Kampf mit dem Mutter-Buch an sein Ende gekommen sein könnte, da frage ich erstmals nach dem Sinn von soviel Opfer und Kampf. Natürlich ist die Antwort nicht zweifelhaft, denn selbstverständlich gibt es diesen Sinn nicht. Das heißt nicht, dass ich nachträglich bedaure, diesen Weg gegangen zu sein. Noch weniger heißt es, dass ich etwas ändern würde bzw. möchte, ließe sich etwas ändern. Ganz und gar nicht. Aber die Sinnlosigkeit ist trotzdem nicht zu leugnen. Ich weiß nicht, ob ich meine Lebensarbeit anders beurteilen würde, wäre ich Soldat geblieben und Pilot geworden oder wenn ich mich als Arzt durch irgendwelche Krankenhäuser geschufftet hätte. Möglich, dass es anders wäre, weil ich dann, mit solch einem Beruf, die Sinnlosigkeit für normal halten könnte, während sie jetzt, da ich der Literatur einen soviel höhere Wert beigemessen habe, naturgemäß auffälliger ist.
Nun gut, ich werde fraglos weitermachen. Die beiden Romane »Haus der Geister« und »Das Kind, das lügen lernte« warten darauf, abgeschlossen zu werden. Eines der beiden Projekte kann in diesem Jahr sicher noch in einer ersten vollständigen Niederschrift gelingen. Schauen wir also mal. An der grundsätzlichen Sinnlosigkeit ändert das nichts. Aber man müsste natürlich auch über die Chuzpe eines Gottes (oder die Blödigkeit eines Donald) verfügen, um am Ende zu behaupten, er sah, dass alles gut war. Davor bewahre mich der Ewige.
Bleiben Sie glücklich
wünscht Ihnen Ihr PHG
