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Das Wunder der baldigen Lieferbarkeit

Wiesbaden, 10. November 2012, bei Regenwetter und Bachkantaten

Nein, nein – nicht, dass Sie sich jetzt – angeregt durch die Überschrift – falsche Hoffnungen machen. Das Wunder der Lieferbarkeit ist noch nicht eingetreten! Auch nicht, weil wir uns langsam der Weihnachtszeit nähern und ich an das Christkind glaube. Ich schreibe nur deshalb, weil augenscheinlich im Gegensatz zu mir einige Leser daran glauben. Gestern sah ich nämlich ganz überrascht, dass mein neuer Roman „Das Herz des Hais“ auf amazon einen Verkaufsrang erhalten hat.

Nun sollte man ja meinen, dass das normal sei, jedes Buch hat halt einen, auch wenn es mitunter nur ein mieser ist. Aber selbst das gilt nicht, wenn Bücher gar nicht lieferbar sind bzw. „noch nicht“, was freilich auf eines herausläuft. Da sind also Bücher vorbestellt worden. Vor soviel Mut verbeuge ich mich tief, und ich hoffe, dass der Verlag nicht auch noch diese Mutigen enttäuschen wird. Natürlich habe ich vorsichtshalber gleich meine Frau gefragt, ob sie das am Ende gewesen ist. Aber sie verneint es glaubhaft.

Tja, wie verhält es sich nun? „Das Herz des Hais“, für den 15. September ursprünglich als lieferbar angekündigt, ist zwei Monate danach noch nicht auf dem Markt. Ziemlich genau einen Monat nach der Frankfurter Buchmesse ist das Buch nicht vorhanden. (Gerade in diesem Moment beginnt die Kantate BWV 93 ‚Wer nur den lieben Gott läßt walten‘.) Und dass keine Zeitungsredaktion, kein Kritiker ein Besprechungsexemplar erhalten hat, das versteht sich von selbst. Ich würde normalerweise sagen, es sei ein totgeborenes Buch, doch sage ich es deshalb nicht, weil ich weiß, dass es bereits ein unverzeihlicher Euphemismus ist, wenn man in diesem Fall von einer Geburt spricht.

Selbst wohlwollende Buchhändler wenden sich achselzuckend ab. Zu Wochenbeginn kam ich zu Herrn L. in die Buchhandlung. Er riss die Arme hoch und rief: „Wie kommen Sie denn an diesen wunderbaren Artikel in der Literaturzeitschrift ‚Volltext’? Der ist ja ganz großartig usw.“ Später im Gespräch meinte er: „Ich wollte den Artikel mit allen drei Seiten aushängen und dazu einen kleinen Büchertisch machen, um die drei Bücher, die von Ihnen jetzt wieder auf dem Markt sind, hier zu präsentieren. Aber das neue ist ja noch überhaupt nicht lieferbar. Wann kommt denn das endlich?“

Nun, wenn man schon in der Sch… sitzt, dann bekommt man ja bekanntlich immer noch was zusätzlich von oben drauf. Also auch bei L. keinen Büchertisch. Fehlt bloß noch, dass jetzt – da ich so unvorsichtig bin, mich in der Sch… zu rühren – die berühmte Katze kommt, die mich frisst. Am Ende wird es im Vertrag einen Passus geben, in dem steht, dass der Autor darüber schweigen muss, wenn der Verlag nicht liefert? Mal nachsehen.

Aber mal VOLLTEXT gesprochen: Da widmet mir diese Zeitschrift, die von allen Buchhändlern etc. gelesen wird, pünktlich zur Buchmesse einen riesigen Artikel, den selbst noch der Blindeste hätte nutzen können, um damit Bücher zu verkaufen. Eine riesige Steilvorlage für einen Verlag. Und was tut der meine? Er tut gar nichts, verpasst das restlos. Bei der britischen Komikergruppe Monty Python gibt es dafür einen Begriff. Er lautet „sich selbst auf den letzten Platz prügeln“. Danke, Ihr Lieben, das habt Ihr prima hingekriegt.

Helmuth Rilling und das Bach-Ensemble sind jetzt bei BWV 138 angekommen. Das ist die Kantate „Warum betrübst du dich, mein Herz“.


Okay, ich komme zum Schluss. Erstens wünsche ich den Vorbestellern des Buches, dass ihr Mut auf keine zu harte Probe gestellt werden möge. Zweitens muss ich der Gerechtigkeit halber ergänzen, dass es nicht nur mir mit dem Herz des Hais so geht sondern auch den übrigen Autorenkollegen im Verlag, die im Herbstprogramm angekündigt waren. Ich weiß nicht, wohin das führen soll. Aber ich denke, Zukunft hat das auf diese Weise nicht.

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker