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Das Geheimnis der Hoffnung

Dienstag, 15. Dezember 2020, bei lauter Musike von Joni Mitchell, vor allem die ganz frühen Aufnahmen, die Archive-Alben von Anfang der 60ger Jahre, nur ihre wunderbare Stimme mit etwas Gitarre aus der Zeit, als sie noch als Joni Anderson auftrat.
“Die Hoffnung kommt auf der nächsten Seite.
Schließ das Buch nicht.” (Edmund Jabès)

Vermutlich gibt es drei Arten von Menschen. Die einen haben die Hoffnung, dass spätestens auf der nächsten Seite, hinter der nächsten Ecke, am nächsten Tag, im nächsten Jahr, beim nächsten Mann, beim nächsten Buch, nach der nächsten Flasche und immer so weiter alles anders, alles neu, alles besser wird. Und dann gibt es diejenigen, die schon längst gar nichts mehr glauben, die nichts erwarten und auch meinen, dass sie dabei die Wahrheit der grauen Realität auf ihrer Seite haben.

In gewisser Weise sind die beiden gut dran. Sie besitzen nämlich eine Gewissheit. Ob sie ihnen zum Guten oder Schlechten ausschlägt, das ist völlig egal. Gewissheit bleibt Gewissheit. Ich beneide sie manchmal, dann schüttle ich den Kopf und gehe weiter.

Ich gehöre nämlich hauptsächlich zur dritten Art, der die meisten Menschen angehören. Das sind die, die mal das eine, mal das andere tun, mal hoffen, mal die Hoffnung fast aufgeben und dann doch wieder lachen und es nochmal mit der Hoffnung versuchen.

Aber ich sagte “hauptsächlich”, denn an sich bin ich nicht von vorhandener oder nicht vorhandener Hoffnung abhängig. Sicher, wenn man Hoffnung hat, dann geht es einem in der Regel irgendwie besser. Und das ist schon was. Aber es ist wenig genug. Die Hoffnung allein wird niemanden retten, so groß und sicher sie auch sei, gleichgültig, ob es die Hoffnung auf Jesus Christus, auf die Revolution, das eigene Genie, auf was auch immer sein mag.

Das einzig, was – zumindest mich – immer gerettet hat, war die Arbeit. Möglichst sofortige Arbeit, selbst schlechte, ist vielfach besser, als hoffen und zuwarten. Die Arbeit wird dich retten! Darum ging es mir auch nur einmal im Leben richtig schlecht. Nicht, als ich kein Geld hatte, keinen Erfolg, als ich krank war – was oft genug geschah -, nicht, als man mich verraten und betrogen hat, nein, richtig schlecht ging es mir in den Jahren, als man mir das Arbeiten verboten hat. Und als ich lange, lange zu feige war, mich von den Menschen zu trennen, die für dieses Verbot verantwortlich waren. Selbst, als ich mich endlich, viel zu spät, von ihnen befreit hatte, war ich lange Jahre voller niederdrückender Schuldgefühle, die mir oft genug sogar das Atmen verunmöglicht haben.

Fahnenkorrektur der überarbeiteten Neufassung von “Calvinos Hotel”, die im Februar 2019 erschien.

Auch aus diesem Zustand hat mich letztlich nur die Arbeit gerettet. Die Arbeit übrigens an einem Buch, das mein wichtigstes war und das ich wohl kaum mehr übertreffen werde, an “Calvinos Hotel”. Und das natürlich niemand mehr haben wollte, nach 20 Jahren Abwesenheit vom Buchmarkt, in denen sich nicht nur alles geändert hatte, sondern ich auch vollständig vergessen worden war.

Warum ich das jetzt erzähle? Weil ich bei der Erstellung des Rundbriefes über die Veröffentlichungen der letzten Jahre von der Verlagsleitung gefragt wurde: “Das sind viele Bücher für unseren ja im Grunde immer noch kleinen Verlag. Wir haben bei der Zusammenstellung gestaunt. Woher kommt diese Produktivität?” Und ich hatte spontan antworten wollen: “Ja, ich bin so lange am Schreiben gehindert worden, dass ich es selbst am Ende gar nicht mehr für möglich hielt. Aber heute bin ich stolz darauf, dass ich, trotz allem, was geschah, niemals aufgegeben habe. Sie haben mich nicht vernichten können.” Doch dann dachte ich, sei still, das versteht eh keiner.

Jetzt, im Zusammenhang mit dem Thema Arbeit, wird es vielleicht etwas verständlicher. Hoffnung habe ich oft genug nicht gehabt. Aber Arbeiten kann man auch ohne Hoffnung.

Gut, das war es, was mich heute bewegte, in diesen letzten Tagen des Jahres, während die spärlichen späten Blätter von unserem Nussbaum fallen, die Lampe schon Morgens brennt und ich beim Mittagsschlaf neue Bücher träume. Bücher, die alle in die Welt wollen, es aber nur schaffen werden, wenn mir genug Zeit für die Arbeit daran bleibt.

Mögen alle lebenden Wesen
von Leiden frei sein.
wünscht Ihr PHG

PS: Aber andere arbeiten auch. Jan, mein brasilianischer Übersetzer, schrieb morgens auf Facebook zu meinem Roman “Der Mann, der den Regen fotografierte”: Ab Samstag oder so, gehe ich in die zweite Übersetzungsrunde hinein. Hoffentlich gibt es ab März eine vollständige Version auf Brasilianisch. Was will man mehr?

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker