Literatur

Kindheitsmuster – vom Leben des Vergangenen im Heute

Samstag, 8. Mai – Tag der Befreiung – 2021, bei Guzuguzu vom Helge Lien Trio

Seit etwa anderthalb Jahren, wohl auch etwas länger, habe ich sehr viel gearbeitet, verschiedenste Texte abgeschlossen und auch veröffentlicht, so im letzten August meine phantastische Erzählsammlung Isoldes Liebhaber” und jetzt im Februar diesen Jahres als zweiten Band meiner Familientrilogie den Roman “Nichts weißt du, mein Bruder, von der Nacht”, dazu die beiden umfangreichen Manuskripte meines Mutterbuches und des Rom-Tagebuches, die beide auf die Schlussredaktion warten, bevor ich sie in Druck geben kann. Eines davon zumindest soll noch im kommenden Herbst erscheinen. Außerdem stehen in den nächsten Wochen die Veröffentlichungen meines Schelmenstücks “Paartherapie” und meiner kleinen Sammlung imaginärer Tiere “Der unsichtbare Hund”, mit den wunderbaren Illustrationen von Kornelius Wilkens bevor.

Auch diese beiden Publikationen haben Arbeit verlangt, Zeit verbraucht usw., obwohl sie gleichzeitig viel Freude gemacht haben, was nicht verschwiegen werden soll. Dazu meine vielen Lektorate, auch für die Bücher meiner Liebsten, so etwa für ihren wunderbaren Band “Rettungen”. Aber was ich eigentlich sagen will, das ist, dass ich das Gefühl habe, mich mit all diesen Arbeiten, so notwendig auch immer sie waren, vor dem Eigentlichen gedrückt zu haben.

Was wäre denn das Eigentliche in meinem Fall? Nun, das ist nicht schwer auszusprechen, denn es ist wie immer die Vergangenheit, die niemals vergangen ist, nie vergangen war, von der sich zwar die braven Leute immer gewünscht haben, dass sie es wäre, damit die Verdrängung weiter funktioniert und die Schmerzen der Erinnerung nicht zu groß würden, von der ich aber trotzdem mein ganzes Schriftstellerleben hindurch schreibend gesprochen habe, obwohl sie mir dafür immer böse waren und noch heute sind.

Allerdings habe ich es niemals wirklich offen getan, denn ich bin stets den Weg der Fiktionalisierung gegangen, oft sehr weit, buchstäblich bis in fremde Länder, und ich habe das, um was es ging, zudem vielfach aufgesplittert, habe die Vergangenheit gewissermaßen kaleidoskopartig gebrochen und mit ständig wechselnden Farben versehen, sodass das ursprüngliche Material des Lebens, aus dem all meine Bücher geschlüpft sind, bis zur Unkenntlichkeit verfremdet, verkleidet in die Welt des Buches trat. Zwar war selbst das vielen Lesern noch ganz unerträglich, weil sie spürten, dass meine Texte sie auf die Straße in ihre eigene Unterwelt stießen, aber man kann es nicht jedem bzw. jeder Recht machen. Einer hat sogar versucht, mich umzubringen und hätte es fast geschafft. Und er tat es nicht, weil ich tatsächlich etwas geschrieben hatte. Er tat es, weil er lediglich “vermutete”, dass ich etwas geschrieben haben könnte.

Vermutlich gehört all das zu den Gründen, warum ich mich etwa seit dem Spätherbst 2019 so sehr in die Arbeit vergraben habe und trotz guter Ergebnisse ständig das Gefühl hatte, mich damit vom Wichtigsten abzuhalten. Jedes zu bearbeitende Manuskript, jedes veröffentlichte Buch, war nur ein neuer Versuch, mich von dem abzuschotten, was da auf mich wartete, ich habe mich eingemauert, verbarrikadiert hinter einem Berg von anderen Texten, um den eigentlichen Text nicht schreiben zu müssen. Das muss heute ein Ende haben.

Bleiben Sie glücklich, wünscht
Ihr PHG

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker