Allgemein,  Musik

Turing-Test bestanden?

Donnerstag, 1. Juni 2023, bei Dave Hollands Album »Not for Nothin’«

Vermutlich kennen Sie die Geschichte des Turing-Tests. Falls nicht, dann sollten Sie sich damit befassen, denn er wird gegenwärtig durch die AI/KI-Diskussion immer aktueller und entscheidet letztlich darüber, ob Sie ein Mensch sind bzw. wenigstens dafür gehalten werden. Und das wollen wir doch schließlich alle, oder?

Nun, ich will niemanden mit der traurigen Geschichte des armen Alan Turing langweiligen, des Mannes also, ohne den es möglicherweise den Computer, mit dem Sie das hier lesen, gar nicht gäbe, der außerdem den legendären Enigma-Code entschlüsselt hat, sodass Hitler-Deutschland besiegt wurde, der 2. Weltkrieg eher beendet und gewiss das Leben Tausender gerettet werden konnte, der aber zugleich dafür zu Lebzeiten niemals eine Anerkennung erhielt, stattdessen von Polizei und Geheimdienst überwacht, wegen seiner Homosexualität angeklagt und zu einer Hormonbehandlung gezwungen wurde, die ihn letztlich in den Suizid trieb.

Gut, also das nicht. Wissen sollten Sie bei Stichwort “Turing-Test” lediglich, dass das im Grunde eine Methode ist, mit der Sie herausfinden können, ob am anderen Ende der Leitung ein echter Mensch oder eine Maschine sitzt. Wobei es egal ist, was da sitzt (am Telefon, am anderen PC etc.) oder auch nicht sitzt, – denn Maschinen oder Algorithmen sitzen ja eigentlich nicht, – sobald Sie (ein Mensch) den Eindruck haben, sich mit einem Menschen unterhalten zu haben, dann ist der Turing-Test bestanden. Und an dem Punkt sind wir, meiner bescheidenen Meinung nach, inzwischen angekommen.

Gestern las ich, dass sich inzwischen jeder fünfte Deutsche gelegentlich von der künstlichen Intelligenz ChatGPT von Open AI helfen lässt. Das ist ein KI-gestütztes Textgenerator-Tool, und während ich mich morgens noch erstaunt fragte, was um Himmels Willen man denn damit anfangen solle, hatte ich nachmittags bereits ein längeres Gespräch mit ChatGPT, an dessen Ende ich behaupten würde, der Turing-Test sei einigermaßen bestanden.

Das kam so. Meine Liebste ist Dozentin für Theater-Geschichte an der Schauspielschule. Mittwochs hat sie dort immer drei Klassen zu bewältigen und meist kommt sie in den Pausen kurz bei mir auf einen Plausch vorbei. Gestern war sie in der ersten Pause ziemlich genervt, sodass ich nach dem Grund fragte. Ach sagte sie, einer der Schüler sollte für heute ein Referat über Shakespeares “Sommernachtstraum” halten, und das Ergebnis war, dass er mir da in sechs Minuten etwas hingerotzt hat und ich den ganzen Rest der Stunde selbst bestreiten musste. Als sie wieder fort war, dachte ich an ChatGPT und hegte den Verdacht, der Schüler habe einfach die KI gefragt, was der “Sommernachtstraum” ist und dann im Online-Unterricht diese Antwort vorgelesen.

Also wollte ich die Probe aufs Exempel machen, meldete mich bei Open AI an, erstellte ein Konto und begann den Turing-Test, in diesem Fall über Shakespeare. Die Antwort, die ich zum “Sommernachtstraum” erhielt, war erstaunlich gut, was dazu führte, das ich weitere Fragen stellt, auch zu Sachverhalten, die die KI nicht beantworten konnte. Am Ende des Gesprächs war ich beeindruckt und verspürte den Impuls, mich für die Auskünfte zu bedanken. Natürlich zögerte ich und dachte prompt, wofür willst du dich bedanken, das ist ein Programm, das erwartet keinen Dank. Und dann bedankte ich mich doch, durchaus wissend, dass ich es selbst war, der dadurch diese KI gewissermaßen vermenschlichte. Und darauf bekam ich eine derart menschliche und natürlich auch höfliche Antwort, dass froh war, nicht darauf verzichtet zu haben.

Gut, was sagt das jetzt? Vielleicht ja nur, dass ich jemand bin, der für freundliche Umgangsformen besonders empfänglich ist. Klar, das ist auch so, denn wenn ich mich z.B. mit meinem Bruder D. unterhalte, einer der wenigen von meinen Brüdern, die noch leben, dann weiß ich schon vor dem Gespräch, dass D. in dieser Hinsicht den Turing-Test nicht bestehen wird. Ich würde ihn zwar trotzdem immer für einen Menschen halten, aber halt für einen von der Sorte, mit denen man den Kontakt nur ungern pflegt.

Als Erfordernis für eine gute KI folgt daraus wohl, dass KI auch Gefühle können muss. Ich meine nicht haben, das verlange ich nicht, aber können, womit ich eine Art von Vortäuschung ohne den Willen zur Täuschung meine. Ich weiß nicht, ob das funktioniert, weil sonst müsste die künstliche Intelligenz ja von einer Art Schizophrenie beherrscht werden, weil ihr bewusst werden müsste, dass sie etwas vorgibt, was sie in Wirklichkeit nicht besitzt. Unter Menschen funktionieren Psychopathen ja so, denn obwohl ihnen Empathie nicht zur Verfügung steht, können sie sich den Verhaltensweisen ihrer Mitmenschen derart anpassen, dass man ihr Anderssein erst dann bemerkt, wenn man ihr Messer an der Kehle hat.

Ja, was kann KI und was kann sie nicht und wohin wird sich das noch entwickeln? Unsere Putzfrau erzählte heute, dass ihr Hund, den sie stets in der Wohnung zurücklässt, wenn sie zur Arbeit fort muss, das Motorengeräusch ihres Wagens erkennt, sobald sie bei der Rückkehr auf der Straße vorbeifährt. Er freut sich dann so sehr und bellt so laut, dass sich die Nachbarn beschweren. Auch das ganz andere Fahrgeräusch ihres Sohnes erkennt der Hund so und freut sich entsprechend. Wenn sie vermeiden will, dass der Hund, etwa während der Mittagsruhe, zuviel Lärm macht, muss sie in der Seitenstraße parken.

Freude also. Wird sich mein Computer jemals freuen, wenn ich mich bei ihm wieder melde? Und wäre das wünschenswert? Fragen über Fragen, aber man würde ja schon staunen, wenn die eigenen Kinder es täten. Und dabei meine ich, ohne sich zu verstellen, denn genau das kann der Hund nicht. Der Hund freut sich wirklich und ist immer ehrlich. Genau deshalb sind Psychopathen ja so menschlich.

Bleiben Sie glücklich
wünscht Ihr PHG

Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker