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Identität beim Fotografieren und Rudi im Weinviertel

Mittwoch, 12. September 2012, Wiesbaden, während >>>>  Edwin Fischer Beethoven spielt

Für den Rest der Woche bleibt mir außer meinen Coachings jetzt nur noch die jeweils morgendliche Arbeit am Roman, die ich freilich ab Freitag nicht mehr werde durchhalten können, sowie der heutige Termin für den Portugiesischkurs am Abend.

Am Freitag folgt dann die erneute Fahrt nach Berlin, wo ich den Fototermin mit >>>>  Susanne Schleyer habe, die die Fotos von mir für den Artikel in der Literaturzeitschrift >>>>  Volltext machen soll, den >>>>  Alban Nikolai Herbst über mich vor vierzehn Tagen  geschrieben hat.

Werde noch überlegen müssen, was ich für die Aufnahmen anziehe, wobei ich merke, dass es mir irgendwie widerstrebt, die von der Fotografin kurz in den Mails angedachte Italienrichtung zu bedienen, die fast zwangsläufig dadurch entsteht, dass das Porträt über mich den Roman >>>>  Calvinos Hotel mehr oder weniger in den Mittelpunkt rückt, der ihr auch zugeschickt worden ist und eben zu großen Teilen in Italien spielt.

Nicht nur ist der in Italien lebende Autor jedoch ein arges Klischee. Meine Italienzeit ist zudem längst vorbei, Italien ist für mich gewissermaßen so sehr außer Gebrauch, dass ich heute auf Anhieb wahrscheinlich Schwierigkeiten hätte, mehr als fünf gestammelte italienische Sätze zustande zu bringen. Außerdem gab es bereits zum Erscheinungstermin von „Calvinos Hotel“ solche quasi italienischen Fotos von mir. Der strahlende Renaissance-Mensch mit dem weißen Sommerhut auf dem Kopf, vor dem Caffè sitzend, den „Corriere della Sera“ lesend usw. Das ist etwas, das ich im Grunde nicht mehr möchte.

Vielleicht werde ich mit der Fotografin darüber vor meiner Reise nach Berlin noch telefonieren müssen, denn ich weiß überhaupt nicht, ob man mich durch Bilder landschaftlich, bezüglich eines Milieus oder gar national festlegen sollte. Ich bin von meiner Geburt her Norddeutscher, lebe inzwischen seit Jahrzehnten in Süddeutschland, zuletzt seit 6 Jahren im Rheingau, kleide mich schon lange vage englisch konservativ, habe eine polnisch-jüdische oder jüdisch-polnische (wer weiß das genau?) Seele, bin aber eigentlich ein Dortmunder Jung, am Borsigplatz aufgewachsen und zur Schule gegangen, und mein Fußballverein ist immer noch Borussia. Und das, obwohl ich inzwischen, durch vielfach wechselnde Wohnorte, auch Werder Bremen, dem HSV und dem VfB Stuttgart die Daumen gedrückt habe. Okay, ich höre mal auf. Was klar geworden sein sollte, das ist der Umstand, dass mir der Fototermin unerwartet Fragen nach meiner Identität nahegelegt hat.

Und das ist in der Tat eine deutsche, spätestens das Jahr 1989 hat mich das gelehrt. Dieses Jahr, in dem ich in Rom lebte und aus der veränderten Perspektive auch den Mauerfall erlebte, der mir damals drastisch zeigte, wie sehr ich eben doch Deutscher war, denn die Ereignisse erschütterten mich zutiefst. Viel mehr, als es hätte angesichts des Umstandes geschehen dürfen, dass ich immer behauptet hatte, ich sei nicht eigentlich Deutscher sondern Europäer, der als Autor eben auf Deutsch schreibe. So gut, so ambivalent also. Mir scheint, die Fotografin wird auf ihre eigene Sichtweise zurückverwiesen sein. Eine fertige Identität, die sie nur ablichten müsste, bringe ich nicht mit.

Ich werde dann nach dem Fototermin wieder im >>>>  Verlag übernachten dürfen und hoffe, dass ich die Freunde nicht zu sehr mit meiner erneuten Anwesenheit strapaziere; jetzt in den letzten Wochen vor der Buchmesse ist dort wahrlich mehr als genug zu tun. Ich war ja bereits vor zwei Wochen dort, worüber ich hier >>>>  im BLOG berichtet habe.

Am Samstag dann geht es erneut weiter nach Naumburg an der Saale, da die Liebste mit Ariel Dorfmans Stück >>>>  „Der Tod und das Mädchen“ Premiere hat, worauf ich enorm gespannt bin. Ich erfuhr übrigens heute, dass mein Sprecherpart im Stück gestrichen werden musste, da aus bühnentechnischen Gründen für diese Radioansage nur ein Lautsprecher hinter der Bühne zur Verfügung steht, der meine Stimme – die sowieso recht tief ist – leider zu dumpf rüberbringt. Der kurze Part des Radiosprechers muss heller und vom Klang her brillanter kommen, was meine Stimme im Verbund mit der nicht ganz optimalen Aufnahmetechnik und der mangelhaften Widergabemöglichkeit während der Aufführung leider nicht erbringt. Die Liebste saß jetzt noch in der Nacht, um den Text an ein Studio nach Berlin zu schicken, wo ein Sprecher mit professioneller Ansagerstimme ihn hoffentlich noch pünktlich einlesen wird. Ich bemerkte im Gespäch, dass die Liebste mir das etwas ungern mitteilte. Es war aber so, dass mir das gar nichts ausgemacht hat. Ich bin der erste, der diese Notwendigkeit einsieht. Ich habe in den letzten Jahren für sie immer mal wieder meine Stimme hergeliehen und habe so u.a. den Jack the Ripper gesprochen, Oskar Kokoschka oder Heinrich Heine u.a. Aber das waren alles Figuren, denen ich mit meiner Stimme ein persönliches Profil geben konnte. Ein Nachrichtensprecher im Radio ist jedoch einer, der am besten keinen zu eigenen Sprachcharakter besitzt, wenigstens keinen zu deutlich erkennbaren. Und haben Sie schon mal einen Bass die Nachrichten sprechen hören? Sicher nicht. Ich hatte mich zwar während der Aufnahme eine Stunde lang um eine höhere Tonlage bemüht, doch hat das nicht ausgereicht. Man wird mich also nicht hören können, das sei vorsichtshalber gesagt, falls jemand von meinen Lesern nach Naumburg ins Theater kommen will. Ich kann aber versichern, dass die Inszenierung von Jutta Schubert sowieso tausendfach wichtiger und sehenswerter ist, als meine Stimme es je hätte sein können.

Am Sonntag geht es gemeinsam nach Wiesbaden zurück, obwohl ich aus Verlagsgründen noch gut den Montag in Berlin bleiben könnte, doch wird das nicht möglich sein. Die Liebste hat eh nur diesen Rückreisetag und dann den Montag, um zu Hause zu sein. Am Dienstag geht es sofort in die Endproben von >>>>  „KrisenFest – Besser Sie sind vorbereitet“ nach Eppingen, zu der Weltuntergangskomödie nach den Prophezeiungen des Mayakalender, die am 29. September Premiere haben wird, damit sie noch vor dem Weltuntergang im Dezember ausreichend oft gespielt werden kann. (Keine Bange, der Weltuntergang war nur ein Witz. Haben Sie aber gemerkt? Oder haben Sie etwa andere Infos?)

Und danach bleiben der Liebsten lediglich noch 4 Wochen für die Proben zu Hitchcocks  >>>>  “Die 39 Stufen“ am Theater in Lüneburg, eine Produktion, die parallel vorbereitet worden und deren Premiere für den 27. Oktober terminiert ist.

Wir überlegen – so weit das Überlegen bei solch einem dichten Produktionsplan, der übrigens bereits seit Januar dieses Jahres läuft und mit der Lüneburger Premiere im Oktober nur sein vorläufiges Ende findet – ob wir, mit ein paar Tagen Zwischenraum nach der Premiere am 27. Oktober, dann nicht die erste Novemberwoche nutzen sollten, um zu >>>>  Rudi Bulant ins Österreichische Weinviertel zu fahren. Rudi ist ein langjähriger XING-Kontakt von mir, den ich inzwischen durchaus als einen Freund empfinde. Er ist etwa gleichaltrig mit mir und neben seiner Faszination für das Schreiben ist er vor allem ein engagierter Bio-Winzer, aus dessen Produktion wir schon manche wunderbare Flasche getrunken haben.

Ein Kontakt lohnt sich für Weinfreunde bei  >>>>  “Literatur & Wein” von Rudi Bulant in 3720 Ravelsbach, Parisdorf 48, ganz sicher. Die Liebste und ich würden Rudi schon lange gern auch einmal persönlich kennenlernen. Und da er meinte, dass Anfang November das Wetter durchaus noch gut sein könne und vielleicht sogar das eine oder andere Glas des jungen Weines aus der 2012er Lese zu verkosten sei, so sollten wir es wohl wirklich versuchen. Zumal uns so ein kleiner Ausbruch zu diesem Zeitpunkt wirklich in jeder Hinsicht wieder auf die Beine helfen könnte. Gibt es jemanden, der uns das nicht gönnt? Sicher doch nicht.

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker