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Religionskritik oder Karl-Heinz und die Unsterblichkeit

Wiesbaden, Montag 10. Dezember 2012, bei verschiedenen Verdi-Aufnahmen aus den Jahren 1925 
bis 1942 mit dem wundervollen Bariton von Heinrich Schlusnus (1888 - 1952)

Aus gegebenem Anlass muss ich hier einmal einen älteren Blog-Beitrag aus meinem ersten Blog erneut veröffentlichen. Er stammt vom 16. Juli 2009, und ich veröffentliche ihn an dieser Stelle nochmals, weil ich auf der an sich für solche Fragen ganz unpassenden Plattform von Facebook mit meinem alten Freund Karl-Heinz St.-F. etwas ins argumentative Säbelfechten  gekommen bin. Wohlgemerkt, Karl-Heinz und ich sind keine FB-Freunde oder das, was FB so nennt. Wir kennen uns wahrhaftig, und das bereits seit über 40 Jahren. Und ich schätze ihn ungeheuer. Er ist ein großer Maler, dessen Bilder seit Jahrzehnten meine Wände schmücken. Wenn es nach mir ginge, so wäre er weltberühmt, was er auch zwingend verdient hätte.

Aber darum geht es hier nicht. Es geht vielmehr darum, dass Karl-Heinz und ich uns in einem bestimmten Punkt sehr deutlich unterscheiden. Während ich nämlich in Glaubensdingen zumindest ein ganz klarer Skeptiker bin, so verteidigt er eine für mich wenig akzeptable Gottesvorstellung und behauptet sogar die Unsterblichkeit, ja, auch seine eigene. Zwar weicht er mir immer wieder aus, wenn ich ihn dazu bringen will, mir genau zu erklären, wie man sich das vorstellen muss, aber er scheint in diesem Punkt volle Glaubensgewissheit zu besitzen. Aber da kann er mir, der ich schon Götter sterben gesehen habe, gar nichts vormachen, und ich verlange zumindest eine angemessene geistige Auseinandersetzung über das Thema.

Darum jetzt dieses Rebloggin, weil ich denke, dass mein Beitrag über David Hume von 2009 vielleicht doch etwas zur Aufhellung des Gegenstandes beitragen könnte. Schaun wir mal:

Religionskritik // 16. 07. 2009

Heute habe ich, als Vorbereitung auf ein Hume-Seminar, das in der kommenden Woche im Elsaß stattfinden wird, die Lektüre von David Humes „Dialoge über natürliche Religion“ beendet. Es war eine höchst erfreuliche und unbefriedigende Lektüre zugleich. Erfreulich deshalb, weil sich Humes Text ganz wunderbar liest und dadurch zu einem literarischen Genuss wird. Die ‚Dialogues concerning Natural Religion‘, die erst postum 1779 erschienen, sind ein literarisches Kleinod, ein Text von solch geschliffener Prosa, dass er selbst in Humes eigener Epoche, die für literarischen Stil noch ein Ohr besaß, als außergewöhnlich bezeichnet werden muss. Diese literarische Qualität wird von der Kritik seither auch stets betont. Um so erstaunlicher vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Lesbarkeit philosophischer Text meist ganz anders beurteilt zu werden pflegt. Ein großes Buch also, das zu Recht als Humes bedeutendste religionstheoretische Schrift gilt.

Als unbefriedigend empfand ich die Lektüre andererseits deshalb, weil sie zwar auf die denkbar genaueste Weise die Unvereinbarkeit einer wie auch immer gearteten Gottesvorstellung mit der menschlichen Erfahrung nachzeichnet, ohne dabei aber zu einer klaren Aussage über die doch offensichtliche Nicht-Existenz Gottes zu kommen, obwohl alle Argumente dafür als zwingend erscheinen. Ja, es ist sogar so, dass der gedankliche Ausgangspunkt gar nicht bei der Frage ob Gott existiert oder nicht ansetzt. Die Existenz Gottes wird in Humes Dialogen schlicht vorausgesetzt! Und gefragt wird vielmehr nach dem WESEN Gottes und dessen Vereinbarkeit mit der Erfahrung.

Zwar erweist sich auch dabei in allen Punkten, dass Aussagen über das Wesen Gottes eben gerade nicht mit unserer Erfahrung vereinbar sind und sogar in vielfache Widersprüche geraten müssen, die sich nicht auflösen lassen, wenn man nicht zum reinen Glauben Zuflucht nehmen und die realen Lebensverhältnisse der Menschen ignorieren will. Für Humes Diskussion des Themas ist das der entscheidende Punkt. Für einen religionskritischen Leser der Gegenwart bleibt hier jedoch der entscheidende unaufgelöste Rest, denn ohne die Existenz Gottes abzulehnen oder zumindest in Zweifel zu ziehen, ist eine klare Stellungnahme in dieser Frage nicht zu haben. Das sollte nicht erst durch den gegenwärtigen religiösen Fundamentalismus deutlich geworden sein.

Die Argumentation der ‚Dialogues‘ expliziert den Sachverhalt freilich im Grunde viel klarer, als die Dialogpartner im Text letztlich zuzugeben bereit sind. Und es überrascht deshalb nicht, dass nicht zweifelsfrei gesagt werden kann, welche der drei Positionen, die in den Dialogen vertreten werden, Humes eigene war. Es war dem Autor, angesichts der drohenden Konflikte mit der Kirche, ganz offensichtlich an einer Verschleierung dieser Zuordnung gelegen. Und die Tatsache, dass die Schrift zu Humes Lebzeiten mit Rücksicht auf die Kirche gar nicht publiziert werden konnte, spricht für sich.

Sieht man von der erzählerischen Rahmenhandlung ab, so ist die argumentative Zuordnung der einzelnen Dialogpartien folgendermaßen aufgeteilt. Die glaubensmäßig orthodoxe Position ist dem theistisch denkenden DEMEA zugeordnet. CLEANTHES hingegen hegt zwar keinerlei Zweifel an Gott, vertritt aber einen gewissermaßen aufgeklärten Deismus. Und als dritten haben wir PHILO, der meist den Wortführer macht und eine absolut skeptizistische Position verteidigt, die er im Grunde in allen Punkten auch durchzusetzen versteht:

„Die einzige Haltung, die dem menschlichen Verstand in dieser tiefen Unwissenheit und Dunkelheit zukommt, ist die der Skepsis oder zumindest die der Vorsicht. Er sollte eigentlich gar keine Hypothese akzeptieren, keinesfalls aber eine, die nicht einmal den Anschein von Wahrscheinlichkeit für sich hat.“ (Teil 11 / Seite 110) Dies schließt PHILO angesichts der Unmöglichkeit, die Tatsache zu erklären, dass das menschliche Leben durch so viele Übel geprägt ist, dass die Behauptung einer gütigen Gottheit, deren Schöpfung zum Besten bestellt sei, zu einer Absurdität wird.

Humes ‚Dialoge‘ versuchen zweierlei. Zum einen untersucht er die Frage der Stichhaltigkeit der bekannten Gottesbeweise. Er beleuchtet also die Frage, ob wir, wenn wir uns nicht unhinterfragt auf bloßen Glauben verlassen wollen, einen rationalen Nachweis der Existenz Gottes erbringen können. Und zweitens gelingt es ihm, das Theodizee-Problem zu formulieren, indem er die Unvereinbarkeit mit der Gottesvorstellungen auf der einen und dem tatsächlichen Zustand der Welt auf der anderen Seite in aller Schärfe aufzeigt.

Nun, ich empfehle allen Interessierten die Lektüre von Humes Text, der als Band 7692 in der kleinen gelben Bibliothek des Reclam-Verlages, Ditzingen erschienen ist und gerade mal 5,00 Euro kostet. Das Buch ist zwar über 200 Jahre alt, doch ist es auch heute noch geeignet, an seiner Argumentationskraft jeden religiösen Fundamentalisten zu Schanden werden zu lassen.

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker