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Geduld – oder leben in einer anderen Zeit

Wiesbaden, 29. Januar 2014, mit der 8. Sinfonie von Anton Bruckner, gespielt von den Berliner
Philharmonikern unter Nikolaus Harnoncourt

Gestern habe ich endlich die lange, viel zu lange Korrekturarbeit am Manuskript des Brasilienromans abgeschlossen, die ich bereits vor meiner Reise nach Peru im vergangenen Oktober begonnen hatte. Das ist natürlich schon deshalb viel zu lang, weil es ja noch gar nicht das vollständige Manuskript betraf, lediglich die ersten 260 Seiten sind so durchgearbeitet worden.

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Bei der heutigen Durchsicht meiner Notizbücher stellte ich fest, dass die erste handschriftliche Niederschrift – die ich damals fälschlich für den Anfang des 1. Kapitels hielt – am 28. April 2012 erfolgt ist. In ziemlich genau drei Monaten werde ich demnach zwei Jahre mit diesem Roman beschäftigt sein. Wie macht man das? Wie hält man das eigentlich aus? An meinem Roman “Calvinos Hotel” habe ich sogar über 5 Jahre gearbeitet. Von der Zeit, die es danach dann noch braucht, bis so ein Buch irgendwann man im Handel erscheint, wollen wir gar nicht reden.

Ich denke, es wird überhaupt erst dadurch möglich, dass man schreibend in einer anderen Zeit lebt – vor allem, wenn es um lange Texte geht. Der spanische Autor Javier Marías hat dazu mal gesagt “Romane schreiben ermöglicht dem Romancier, einen guten Teil seiner Zeit in der Fiktion zu verbringen, wahrscheinlich der einzige erträgliche oder halbwegs erträgliche Ort”. Ich gebe ihm da Recht, und ich füge hinzu, dass innerhalb dieser Fiktion eine andere Zeit herrscht. Ich verlebe mit meinen Figuren in der Fiktion dieses Romans nun seit eindreiviertel Jahren nur etwas mehr als eine Woche, nämlich die Zeit vom 05. April 2013 bis (momentan) zum 14. April 2013. Und wenn das Buch beendet sein wird, so werden es ziemlich genau zwei Wochen geworden sein.

Nun könnte man natürlich sagen, okay, das ist die Zeit, die du erzählst, aber die Zeit, in der du diese erzählte Zeit erzählst, die gehorcht ja doch der normalen Zeit, in der auch alle anderen Menschen leben. Das stimmt zwar, aber da man sich als Romancier während dieser ‘normalen Zeit’ so lange in der fiktiven Zeit befindet, entsteht ein ganz anderes Verhältnis dazu. Mir ist außer der künstlerischen Arbeit an einem Werk keine andere Arbeit bekannt, die es tatsächlich gestattet (oder erforderlich macht), dass man sich über so große Zeiträume in fiktiven Welten und Zeiten bewegt.

Die Zeit ist eben relativ, und wenn die Arbeit in der Welt der Fiktion gut gelingt, dann kann man von dieser Reise sogar jünger zurückkehren. Einstein hat das gewusst.

PS: Drücken Sie mir die Daumen, dass ich bis zum 28. April 2014 fertig werde. Es stehen schon wieder so viele Schreibprojekte in der Warteschlange.

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker