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Der Lebensmitte längst entronnen

Wiesbaden, Donnerstag, 6. April 2017, bei kaltem Wetter und "Kultrum", "Andina" 
und "Mojotoro" von Dino Saluzzi

Nach einem tiefen Fall, aus Stunden ohne Schlaf, geriet ich letzte Nacht in einen dunklen Wald. Der Lebensmitte längst entronnen, sucht ich den Weg inmitten Blätterschatten, bis ich zu einer hohen Felswand kam. Darauf ein flackernd Licht. Dem folgt ich unbesonnen und fand mich bald im Feuerschein  vor einer klaffend Höhle, deren Rund nachtschwarz mich schreckte. Doch dann sah ich den Kreis aus nackten Rücken, der Menschen, die da um das Feuer hockten.

Sie schwiegen alle. Es sprach wohl einer nur, der mich nun auch erblickte. Er reichte mir die Hand und zog mich in den Kreis. Ob mich die andren sahen, weiß ich nicht. So saß ich neben ihm, vergaß mich ganz und folgte seinen Worten, Gesten, Blicken. Er raunte, rief und lachte, schlug auf nackten Schenkeln zu lauten Schreien einen Takt. In seinem Rhythmus schienen Schatten sich zu jagen, das Feuer sprang zum Himmel auf, kein Laut, kein Wort war mir bekannt, und doch, ich wusste, wer er war und was er da erzählte. Ich sah das Wild aus seinen Händen quellen, die Vögel flogen auf, wenn er die Finger streckte. Er war mein Vorfahr, mein Dante, Ur-Großvater, König, der alte Artifex, bei dem ich lang gelernt, der Ahnengeist, der tief in meinen Genen steckt.

Dann stand er auf. Ich tat’s ihm nach, mit mir die andren. Die Linke auf der Schulter des Vordermanns, so schritten wir in einer Kette, als es mit Fackeln tief nun in die Höhle ging. Dort drang im Feuerschein von Wänden die Galerie der Tiere auf uns ein. Und er voraus, am Kopfe unsrer Reihe, er rief sie an, sprach ihre Namen aus, sodass zurück sie wichen und fernher Antwort gaben, im hallend Echo seiner Stimme. Ich stand im Schatten hinter ihm und duckte mich, wie hinter mir die anderen auch, nur er stand aufrecht, stand allein im Licht und hielt dem Andrang stand, befahl den Tieren und den Geistern, den Toten und der tiefen Nacht, aus der sie kamen.

Dann wandte er sich zu mir um, nahm meine Hand von seiner Schulter und schob nach vorn mich in das Licht, das er mich tragen hieß. Wie eine Trommel schlug mein Herz, als ich erwachte. (am Morgen 05:17)

 

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker