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Die Nahrung der Götter

Sonntag, 24. November 2019, dem der Toten, bei Verdis ‘Messa da Requiem’ mit den Berlinern unter Herbert von Karajan

Gestern wurde mir endgültig klar, dass jede Hoffnung auf eine zumindest moderate Reduzierung des Fleischkonsums, der sich so verheerend auf die Umwelt und die Gesundheit auswirkt, vergebens ist. Ich habe tatsächlich lange geglaubt, da sei etwas mit Vernunft zu machen. Etwa wenn man den Konsumenten die üblen Zustände in der Massentierhaltung vor Augen führt. Oder wenn man die Ressourcen-Vernichtung aufzeigt, die damit einhergeht, also etwa die Abholzung der Wälder, um auf den Flächen stattdessen Unmengen an Tierfutter zu produzieren. Den an Wahnsinn grenzenden Wasserverbrauch der Fleischproduktion und immer so weiter. Ich bin halt ein hoffnungslos naiver Mensch, der immer denkt, seine Mitmenschen müssten Argumenten zugänglich sein. Das hat in Hinsicht auf den Fleischkonsum jetzt aufgehört.

Warum? Weil ich endlich begriffen habe, dass die Fleischesser seit Anbeginn der Zeiten Gott auf ihrer Seite haben.

Gott ist ein Fleischfresser!

Und es ist egal, welchen Namen und Adresse der jeweilige Gott hat. Die unzähligen im Alten Testament geopferten Tiere belegen das ebenso, wie der Kalitempel in Kalkutta, von dem der Ethnologe Bruce Lincoln berichtet, dass im 19. Jahrhundert an drei Tagen 800 Ziegen geopfert wurden. Durch das Opfer ernähren die Menschen den Gott. Der Sonnengott der Azteken war für sein Überleben auf die ständige Gabe menschlichen Opferbluts angewiesen. Die Mayagötter ernährten sich ebenfalls von Blut. Und die Inkagötter aßen Opferlamas. Das geopferte Lebewesen ist nichts anderes als eine Mahlzeit.

Der Tempel dient überhaupt einfach als Schlachthaus, schreibt Heinrich Zimmer. Im Leben der alten Hebräer spielte der große Tempel in Jerusalem eine ähnliche Rolle, und bis heute erinnert das Ritual des koscheren Schlachtens an die biblische Tradition des Tieropfers. Jedes geopferte Tier wird verzehrt, und jedes gegessene Tier ist ein Opfer für die Götter. Das Fleisch ist heilig, schreibt Barbara Ehrenreich in ihrem Werk “Blutrituale” über den Ursprung und die Geschichte der Lust am Krieg.

Was hat denn Kain so gegen Abel aufgebracht, fragt sie, und der Bibel zufolge den ganzen tragischen Zyklus der Gewalt von Menschen gegen Menschen ausgelöst? Kain war Bauer und opferte “die Früchte des Feldes”. Abel war Schäfer und opferte “die Erstlinge seiner Herde”. Gott waren die Fleischopfer lieber, und er bevozugte unverhohlen Abel, was Kain zum Mord aus Eifersucht trieb. “Das Opferritual”, schreibt sie, “läßt also ein nahezu universales Attribut der archaischen Gottheit erkennen: Er oder sie ist ein Fleischfresser.”

Glauben Sie, das es angesichts dessen jemals eine ernstzunehmende Chance für den Vegetarismus gibt? Ich glaube es nicht mehr. Man müsste letztlich gegen den erklärten Willen, die Vorliebe Gottes handeln. Das tun immer nur eine ganz begrenzte Anzahl von Ketzern wie ich.

Wenn Sie glücklich bleiben wollen, dann sollten Sie es vermeiden.
Rät Ihnen PHG

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker