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Da und doch nicht da, der neue Roman

Wiesbaden, Sonntag, der 23. September 2012, bei Wagners "Lohengrin"

Wagner ist gerade an der Stelle des „Nie sollst Du mich befragen“ angelangt. Für uns Heutige gilt solche Zurück- bzw. Geheimhaltung nicht mehr. Was unser ‚Nam und Art‘ ist, das verraten wir täglich vollkommen freiwillig im Web selbst. Nun, egal, ich klage nicht darüber. Ich vermerke es nur.

Als Autoren stellen wir uns darüber hinaus nach Möglichkeit überhaupt ständig in der Öffentlichkeit vor und aus. Und das selbst dann, wenn wir eigentlich ein Unbehagen dabei haben. Wie sagte letzthin eine von mir sehr geschätzte Kollegin? „Ich schäme mich, wenn ich lese“, sagte sie, als wir über öffentliche Lesungen etc. sprachen. Das verstand ich sehr gut, obwohl es mir selbst lange schon nicht mehr so geht. Aber ich erinnere ein früheres Ich, dass schon bei dem Gedanken an einen öffentlichen Auftritt zu zittern begonnen hätte. Heute ist mir das schon lange weitgehend gleichgültig. Ich fühle mich sogar wohl, wenn ich vor Publikum auftrete. Allenfalls der Umstand, dass es zu wenig Publikum ist, vermag mich da zu stören. Aber ich sage mir dann, dass auch Theaterschauspieler spielen müssen, wenn mindestens vier Zuschauer da sind. Was will ich mich da also beklagen.

Trotzdem ist zumindest für mich gegenwärtig Klage angebracht, da ich nun seit meiner Lesung am vergangenen Donnerstag in Frankfurt selbst zwar den neuen Roman in Händen halte, genau gesagt 6 Stück von meinen Belegexemplaren, weil ich mehr nicht tragen wollte, damit das Buch also ‚da‘ ist, tatsächlich ja auch nach der Lesung bereits mit den anderen Büchern (‚Seelenlähmung‘ und ‚Calvinos Hotel‘) verkauft und signiert wurde, jedoch weder auf der Verlagsseite noch anderswo, ob nun amazon oder wo sonst, erwerbbar ist, sondern vielmehr nur bis zum Oktober auf Vorbestellung verwiesen wird. Und der Termin Oktober wird da natürlich wieder ein Euphemismus sein, denn realistisch wäre höchstens eine Schätzung, die von 14 Tagen nach der Buchmesse ausgeht, bis alles auf ‚lieferbar‘ steht. Es ist also alles eher etwas unbefriedigend. Aber das kenne ich nun schon so lange, dass ich bei dem Gedanken daran einfach nur noch müde werde.

Das Buch selbst macht vom Satz etc. her auf mich einen guten Eindruck. Es ist auch nicht zu klein gesetzt, wie es sich letzthin wahrlich recht negativ für mich ausgewirkt hat. Ich war mit meinem Roman „Calvinos Hotel“ in die Endausscheidung für einen Literaturpreis geraten, wie man mir durch ein daran mitwirkendes Jurymitglied nachträglich mitteilte. Letztlich bekam ich ihn dann nicht, ich unterlag in der Abstimmung mit 3 zu 2 Stimmen, was absolut akzeptabel und keines Wortes wert wäre, wenn die Begründung dafür nicht so hahnebüchend ausgefallen wäre. Um es kurz zu machen, ich bekam den Preis deshalb nicht, weil einer der 5 Mitglieder der Jury sich schlicht geweigert hatte, das Buch zu lesen. Warum tat er das? Weil es, wie er sagte, zu schlecht gesetzt sei, sprich zu klein in der Type.

Ich kann das einerseits nachvollziehen, denn das Buch hätte tatsächlich besser gemacht werden müssen. Statt der jetzt etwa 370 Seiten hätte man es auf etwas über 500 bringen müssen, um das Lesen angenehm zu machen. Das wäre angemessen gewesen. Schließlich umfasste das Normmanuskript meiner Manuskriptfassung über 600 Seiten, dass man das auf unter 400 runterdrückt, das spricht wahrlich nicht für den Setzer. Aber es ist natürlich trotzdem eine Schweinerei seitens der Jury, nach solchen Kriterien zu entscheiden, oder, besser gesagt, sich vor einer wirklichen Entscheidung zu drücken, die natürlich ausschließlich literarisch und damit inhaltlich sein dürfte. Nun, egal, nicht gedacht soll des Herrn werden, der da so nichtswürdig entschied.

Vielleicht sollte ich Wiesbaden verlassen, die hier zuständigen Rentnergehirne entscheiden gern für jemanden von außerhalb. Das ist der Versuch, die eigene Provinzialität abzuschütteln. Was soll man in der Landeshauptstadt  eines Bundeslandes machen, wenn man als derart unwichtig betrachtet wird, dass die Bahn einen sogar vom ICE-Netz abkoppelt? Da lädt man sich doch einen Preisträger ein, der wenigstens aus der großen Welt zur Preisverleihung kommt und deshalb in Mainz umsteigen muss!

Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker