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Der Herr im Treppenhaus

Freitag, 13. Dezember 2019, bei einem Mixtape mit Keith Jarrett, Michel Petrucciani, Chick Corea, Pat Metheny, Brad Mehldau u.a.

Jemand schrieb mir dieser Tage, ich solle mich nicht klein machen. Lieber Peter, hör auf, Dich klein zu machen. Pah, bloß ein Ausrufungszeichen fehlte, dann wäre es ein Befehl gewesen. Nun ja, ich muss zugeben, dass ich mich in diesem Jahr des Schlaganfalls tatsächlich mitunter reichlich klein fühlte, und wenn schon nicht klein, dann doch heftigst beschädigt, zerbrochen und beiseite geworfen; ich hatte bloß nicht gewusst, dass ein 700 Kilometer entfernter Mensch mir das ansehen konnte.

Andererseits habe ich in irgendeiner Weise groß nie sein wollen. Ich kann nichts dafür, dass ich Aufmerksamkeit auf mich zog, wenn ich einen Raum betrat, die Leute schwiegen, sobald ich zu sprechen begann usw. Und schon gar nicht habe ich je darauf angesprochen werden wollen, dass ich Autor bin. Unangenehm bis lästig war und ist mir das. Während meiner Monate in der Reha-Klinik hat mich am meisten gestört, dass ich vom wechselnden Personal immer wieder, früher oder später, gefragt wurde, was ich bin. Ich habe mich dann stets mit Rentner rauszureden versucht. Was leider kaum jemand gelten ließ und meist mit einem ja, aber vorher? beantwortete. Und wenn ich dann Gemüsehändler sagte, dann wurde ich ausgelacht.

Verdammt noch mal, warum kann gerade ich denn kein Gemüsehändler sein, bitte? Das sehe ich gar nicht ein. Ich wäre ein guter Gemüsehändler gewesen, wenn ich einer geworden wäre. Ehrlich. Nun ja, gerettet hat mich dann meist, wenn ich unbedingt inkognito bleiben wollte, die Auskunft Lehrer. Ganz Hartnäckige erfuhren auch noch die Fächerkombination Geschichte und Englisch, dann hatte ich meist meine Ruhe, dank meiner Tochter, von der ich mir den Lehrer geklaut hatte.

Nun glauben Sie bitte nicht, dass ich mich für mein Schriftstellersein irgendwie schäme. Ganz und gar nicht, ich bin sogar stolz darauf, dieses Dasein ein ganzes Leben durchgehalten zu haben. Aber das Problem ist, dass man die Frager in der Regel nicht mehr los wird, wenn man den Vorhang mal in dieser Weise fortgezogen hat. Dann fangen die Fragen nämlich erst an.

Ich muss dann immer an die Antwort denken, die Heimito von Doderer gab, als er gefragt wurde, was denn der Schriftsteller sei.

“Nichts ist er”, antwortete Doderer, “garnichts, und man suche nichts hinter ihm. Er ist ein Herr unbestimmbaren Alters, der einem dann und wann im Treppenhaus begegnet.”

Was natürlich auch heißt, kümmert euch um die Literatur, lest verdammt nochmal die Bücher. Und lasst den unrasierten Kerl im Treppenhaus in Ruhe. Von mir aus selbstverständlich auch die Dame. Aber auf jeden Fall sind genug Bücher da, die die Aufmerksamkeit verdienen.

Das sieht das Publikum natürlich genau anders herum. Da interessiert vor allem die Person des Autors und sein Verhalten. Zwei, wie ich finde, erschreckende Beispiele aus den letzten Wochen sind zum einen die Nobelpreisverleihung an Peter Handke und die große Dokumentation, die arte über Ernst Jünger brachte. In beiden Fällen wurde keine Minute über die Literatur dieser Autoren berichtet, stattdessen ging es ausschließlich um sie als Personen und ihrer beider politisches Wohl- oder Fehlverhalten. Bei Handke während des Jugoslawienkriegs in den 90ger Jahren, bei Jünger während des I. Weltkriegs. Und obwohl bei Jünger sogar die Frage gestellt wurde, warum ein Blick auf ihn noch immer lohne – was meiner Ansicht nach nur mit dem Hinweis auf das literarische Werk beantwortet werden kann – ging es hauptsächlich darum, ob er ein Wegbereiter des Nationalsozialismus war. Dabei hat er mindestens die Hälfte seines Werks überhaupt erst nach 1945 geschrieben, so wie er auch über die Hälfte seines 103 Jahre langen Lebens erst danach gelebt hat. Aber von diesem Werk erfährt man kein Wort, so wie man auch von Handkes Werk kein Wort erfährt. Und niemand merkt wie peinlich das eigentlich ist.

Wenn Sie wissen, was ich meine, dann ändern Sie das; lesen Sie. Sie werden zwei riesige Kontinente entdecken, voll sprachlicher Schätze. Sie werden überreich beschenkt werden. Natürlich können Sie es auch mit dem Gemüsehändler versuchen, der hier schreibt. Der Kontinent mag etwas kleiner sein, zu entdecken wäre er auch.

Das wünscht Ihnen
Ihr PHG

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker