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In der Rückschau auf Rom, die Welt und 1989

Samstag, 2. Januar 2021, bei “War Orphans” vom Bobo Stenson Trio
Die Zeit zu denken bedeutet, den
Trennungsschmerz zu denken.
(Edmond Jabès)

Vieles fällt an und auf in diesen Tagen, was müsste, was könnte, sollte man noch tun, vorsorglich, nachholend? So denken zu können, ist ein Privileg, das nur in dieser Übergangszeit gewährt wird, denn nur allzubald werde ich wieder allem hinterher laufen, spätestens wohl ab übermorgen.

Den Trennungsschmerz zu denken, von dem Jabès schreibt, gelingt auch nur in diesen Zeiten. Für den Rest des Jahres werde ich wieder behaupten, dass er mir gleichgültig sei, dass ich gar nicht daran denke, längst nicht mehr … aber das ist naturgemäß gelogen. Dazu gehört auch mein Römisches Tagebuch von 1989, das ich im zurückliegenden Pandemie-Jahr für eine mögliche Publikation durchsah und dann erstmal fortlegte, weil es mir zu schmerzhaft entgegenkam.

Heute wurde ich durch Artikel “Selektive Erblindung” über die ideologischen Scheuklappen der Linken der klugen Silke Mertins in der taz daran erinnert, denn mein römisches Tagebuch ist eben nicht nur privat sondern auch angefüllt mit dem politischen Geschehen des denkwürdigen Jahres 89, von u.a. Salman Rushdie, dem Massaker in Peking, über das ich mich mit Luise Rinser unterhielt, und dem Fall der Mauer, alles Daten, die ich aufgewühlt in jenen Tagen fern von Deutschland registrierte, diskutierte und aufzeichnete. Silke Mertins stellt am Ende ihres Artikels die Frage nach dem Unterschied zu damals und gibt auch gleich die leider negative Antwort. “Würden also Rushdies „Satanische Verse“ auch heute noch die Solidarität von 1989 erfahren? Die Antwort lautet: Leider nein.”

Ich will deshalb in diesem Jahr 2021 unter dem Titel “Zu Beginn ein Traum” doch noch dieses Tagebuch veröffentlichen, einfach weil es den Abstand deutlich macht, weil es zeigt, wie die Welt sich weitergedreht hat, wie der Revolvermann zu sagen pflegte. Der Schmerz ist zweitrangig; es wird eh niemals jemand verstehen, von welcher Wunde aus ich schreibe.

Aber bevor ich das in Angriff nehmen kann, wird noch sehr viel anderes in diesem Jahr zu erledigen sein, vermutlich mehr noch, als das zurückliegende Jahr ermöglicht hat. Wofür ich ihm übrigens gedankt habe.

Bleiben Sie glücklich
wünscht Ihnen Ihr PHG

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker