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Jahresschluss + ein Text nach 20 Jahren

Freitag, 4. November 2022, bei Jane Ira Bloom und ihren ‘Sixteen Sunsets’

Ich bin früh dran mit der Jahresabrechnung, zugegeben. Aber einerseits ist in diesem Jahr bereits so viel entstanden, dass es eine Notwendigkeit und ein Recht gibt, in den letzten Wochen des Jahres – und dort befinden wir uns ja – alles nochmal zu versammeln. Und andererseits brauche ich das Gefühl des Abschlusses nach all dem, da ich in diesen knappen letzten Wochen noch ein Buch vollenden will, dass seit 20 Jahren darauf wartet, dass ich es endlich wieder zur Hand nehme und zu einem Ende bringe. Es trägt den vielleicht nicht sonderlich verständlichen Titel “Das Rote und das Blaue”, doch war er vor zwanzig Jahren bereits sehr berechtigt und ist es heute sicher noch weit mehr. Aber der Reihe nach.

Jahressumme 2022:

Das Jahr begann Mitte Januar für mich mit einem Buch, das eigentlich bereits acht Wochen zuvor, also im November 2021, hatte erscheinen sollen, dort aber nach wenigen Tagen auf dem Markt nicht mehr lieferbar war. Das war schmerzhaft für mich und blieb so bis in die Januarmitte, sodass alles versäumt war, inclusive Weihnachtsgeschäft, als ob ein alter, nur noch wenig bekannter Autor, auf den die Presse schon lange nicht mehr achtet, sich das leisten könnte. Aber irgendwie passte es auch, denn es war ausgerechnet mein Rom-Buch, also das Buch, das ich am schmerzhaftesten durchlebt hatte und das doch niemals ein Buch hatte werden sollen. Das war “Kein Jahr der Liebe – Notizen aus der Villa Massimo”, ein Tagebuch, das ich 1989 während meines Aufenthaltes in Rom schrieb, ergänzt um alle, soweit noch vorhanden, Zeitungsartikel, Interviews und Arbeiten für den Rundfunk dieses Wendejahres. Eingerahmt von einem kurzen Vor- und Nachwort, das Vergehen der Zeit dokumentierend.

Es hatte, als “Kein Jahr der Liebe” zu Jahresbeginn endlich lieferbar wurde, ein großes Nachholen eingesetzt, aber das konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. Als nächstes erschien eine echte Kleinigkeit, die mich freilich sehr überrascht und deshalb auch gefreut hat. Es war “Ombre di Venezia”, ein Teil meiner Venedig-Gedichte, abgedruckt in der Elsässischen Literaturzeitschrift “Revue Alsacienne”, die ich ganz vergessen hatte. In den Jahren 1987 bis 1993 hatte ich dort recht regelmäßig publiziert, meist Erzählungen, dann schlief das ein. Und dass es nun zu dieser Veröffentlichung kam, lag daran, dass ich Anfang Januar 2018 aufs Geratewohl an die alte Redaktionsadresse einige Texte geschickt hatte. Natürlich war das längst vergessen, als über vier Jahre später nun das Belegexemplar der Zeitschrift in der Post lag. Darum vielleicht besonders schön.

Ebenfalls eine nachgeholte Publikation, wenn auch lange erwartet, da ich recht intensiv daran gearbeitet hatte, war der Band “Leben aus dem Koffer – Gehversuche im Exil” ein deutsch/türkischer Tagebuchband, den ich im Auftrag des Deutschen PEN- Zentrums für die türkische Autorin und Filmemacherin Sehbal Senyurt Arinli, die in Deutschland im Exil leben muss, als Herausgeber betreut und mit einem Vorwort versehen habe. Meine Arbeit daran hatte über zwei Jahre beansprucht, sodass das endliche Erscheinen des Buches beim Aschendorf Verlag im Frühjahr ein schönes Ereignis war.

Während des ganzen ersten Halbjahres arbeiteten wir zudem an dem Lesedrama “Die Bilder des John D.”, dessen Publikation als Buch mir der Verlag Edition Maya angeboten hatte, für mich sehr überraschend, denn der Text hatte all die Jahre, seitdem er geschrieben worden war, nur als Theatertext unter dem Titel “Eistage” vorgelegen. Natürlich habe ich das Publikationsvorhaben sehr begrüßt, besteht dadurch doch die Hoffnung, dass der Text erhalten bleibt und erstmals ein wirkliches Lesepublikum findet. Außerdem fiel die Arbeit zusammen mit dem Beginn des fürchterlichen Ukrainekriegs, und da im Text der Holodomor in der Ukraine eine wesentliche Rolle spielt, so war mein Stück leider unversehens hochaktuell geworden. So aktuell gar, dass im Frühjahr 2023 die Proben für eine Aufführung beginnen sollen. Ich habe einen ausführlichen Begleitessay für das Lesedrama verfasst, der im Buch auf den Stücktext folgt und im kommenden Jahr ebenfalls aufgeführt werden wird.

Das alles allein wäre ausreichend für ein arbeits- und ergebnisreiches Jahr 2022 gewesen, doch kam nun noch mein neuer Erzählband “Morgen ist ein anderer Tag” hinzu, der in dieser Woche ausgeliefert worden ist. Dieses Buch ist wohl, zeitlich betrachtet, das, was den größten Rahmen überspannt, handelt es sich doch um “gesammelte Erzählungen” aus den letzten 35 Jahren, von Mitte der 1980er bis heute. Ein Buch, das man wahrlich als eine kleine Summe bezeichnen könnte. Noch dazu, da der Band mit einer Geschichte beginnt, deren Hauptfigur gerade mal neunzehn Jahre alt ist, und mit der Geschichte eines alten und überraschend sterbenden Schriftstellers endet. Ein großer Bogen.

Das Rote und das Blaue

Tja, und was will ich im Rest diesen Jahres noch tun, sobald ich mit diesem BLOG-Beitrag fertig bin? Ich werde endlich mein Schreibprojekt “Das Rote und das Blaue” abschließen. Ich habe es 2002 begonnen, als ich endlich begriffen hatte, dass ich nun doch nicht sterben würde, wie ich und viele andere es erwartet hatten. Es ist das Buch über meine Krebs-Erkrankung und den langen Weg zurück ins Leben. Dass es damals nicht fertig geworden ist, das lag eben an diesem langen Weg, der mir mitunter gerade mal Kraft für den nächsten Schritt, aber für das Schreiben nichts übrig ließ. In den letzten Jahren habe ich den Text, der damals entstand, immer mal wieder mit schlechtem Gewissen angeschaut, ohne aber dorthin zurückzufinden. Jetzt ist es anders, denn ich weiß sehr genau, was ich dort noch zu schreiben habe. Außerdem soll im kommenden Jahr 2023 mein Buch “Ein paar Dinge, die ich von mir, meinen Eltern und Auschwitz weiß” erscheinen, es liegt zur Zeit bei der Lektorin, und mein Buch “Das Rote und das Blaue” wird sehr gut dazu passen.

So, das ist es, für dieses Jahr. Seien Sie nicht enttäuscht, liebe Leserin, wenn ich bis zum Jahresende allenfalls noch Kleinigkeiten hier notieren werde. Trotzdem wünsche ich Ihnen aber jeden Tag, dass Sie glücklich bleiben.

Herzlich
Ihr PHG

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker