Literatur

Die Kunst, den November zu überstehen

Sonntag, 13 November 2022, bei “Le Voyage de Sahar” von Anouar Vrahem

Dachte in den letzten Tagen immer wieder daran, mich in eine Hütte im Wald zurückzuziehen, um fern von allen und allem, sonder Internet und anderen Medien, nur an meinem Text zu arbeiten. Solche Möglichkeiten gibt es freilich in unserer Welt nicht mehr, und ich bin ja auch seit Ewigkeiten darauf konditioniert, an alles und jeden angeschlossen zu sein. Je mehr man mittendrin steckt, desto dringender will man bekanntlich fort von allem. Dabei sind es wohl nur die flackernden schwarzen Fetzen der mich umschwebenden Herbstdepression.

Dabei sieht alles erfreulich aus. Das Wetter ist gut, Termine drängeln nicht und die Belegexemplare des neuen Erzählbandes kamen zur Wochenmitte. Wunderbar ist das Buch geworden. Was will ich also noch mehr?

Ah ja, außerdem hat mir meine Tochter mitgeteilt, dass ich gegen Ende Januar Großvater werde. Das ist natürlich eine Freude.

Aber zurück zum Schreiben!

Das Schreiben ist eine seltsame Sache. Meine ersten kleinen Texte schrieb ich mit etwa zwölf Jahren. Da war noch kein Gedanke an irgendwas dabei. Dann, so mit siebzehn/achtzehn, als die ersten erzählenden Geschichten entstanden, da erwachte auch so etwas wie ‘das Schreiben als Ziel’, auch wenn ich dieses Ziel lange nicht erreichte und mehr und mehr begriff, dass ich darum kämpfen musste. Es folgten lange Jahre, in denen ich von dem Selbstvorwurf getrieben wurde, nicht genug für die Literatur zu tun, immer wieder war da der Verdacht, dass ich die Literatur gar verraten hatte und sie von mir eine Hinwendung verlangte, die ich unfähig war zu leisten. Da begann bereits das Schreiben als Unglück. Ja, Unglück, was das Schreiben nämlich auch ist, und was kaum jemand begreift. Als ich dann mit dem Schreiben wirklich Ernst machte, die ersten Bücher verlegt wurden und ich mich im Literaturbetrieb behaupten musste, da verlor ich alles, weil sich herausstellte, dass meine Mitmenschen das, was mir das Wichtigste war und alle Kraft abverlangte, überhaupt nicht akzeptierten und mein Tun so gering schätzten, dass sie mich lächerlich und verrückt fanden.

Heute schreibe ich schon lange täglich und muss mich um solche Verachtungen nicht mehr zu kümmern, aber ich habe dafür einen sehr hohen Preis bezahlt. Und ich bin ganz allein dafür verantwortlich, wie lächerlich und erhaben mein Schreiben auch sein mag. Mitunter wünsche ich mir aber, das Schreiben auch sein lassen zu können, einfach um vielleicht ein paar Monate hindurch nur zu lesen, etwas zu studieren usw. Aber es funktioniert nicht mehr, ein Leben ohne zu schreiben, es ist mir nicht mehr möglich.

Nun gut, darüber habe ich ja längst geschrieben, ich wiederhole mich halt alle paar Jahre mal. Und vermutlich liegt es nur daran, dass mir mit zunehmendem Alter, die Kunst, den November zu überstehen, immer schlechter gelingt. Wenn Sie aber mitunter denken, dass Sie selbst ebenfalls schreiben wollen, dann folgen Sie dem obigen Link und lassen Sie es sich eine Warnung sein.

Ganz herzlich
Ihr PHG

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker