Literatur

Nichtige Gedanken – Zwischen den Jahren

Sonntag, 25. Dezember 2022, bei “Home.S.” von Esbjörn Svensson

Wir hatten einen schönen Heiligen Abend, die Liebste und ich, trotzdem war ich wehrlos gegen Anfälle von Traurigkeit, die nur zu verhindern gewesen wären, wenn man so vieles ausblenden könnte – vom elenden Zustand der Welt bis zum Privatesten -, was man eben nicht kann. Wohin man schaut, alles meldet Verluste. Dem Bruder, der eine neue preiswertere Wohnung suchte, da er die alte nach Jahrzehnten nicht mehr bezahlen konnte, gelang kein Umzug, nur der Weg “in eine kardiologische REHA-Maßnahme mit 3 Bypässen”.

In einem anderen Fall, der zuerst wie die reinste Freude aussah, weil da Eltern auf ein Kind hoffen, stellte sich heraus, dass sieben erfolglose Versuche vorausgegangen waren und auch, der nun hoffentlich erfolgreiche, nur mit Hilfe der Medizin möglich wurde. Aus der anfänglichen Freude wurde Sorge, die erst Ende Januar, wenn hoffentlich alles ohne Komplikationen beendet sein wird, schwinden darf.

Auch dass die Liebste, während ich hier sitze und schreibe, unseren früher üblichen Feiertags-Spaziergang in die Weinberge nun allein machen muss, da meine Immobilität mich ans Haus fesselt, ist höchst bedauerlich. Sie wird auch allein in unsere Kapelle gehen, die wir stets zur Besinnung besucht haben, und allein das jährliche Licht entzünden.

Nun, ich bin ein Winterkind, geboren als so viel Schnee ums Haus tobte, dass die Hebamme den Weg nicht fand, wie meine Mutter erzählte. Vielleicht führt mein Schritt deshalb so leicht in die Gefilde der Trauer. Ich schelte mich mitunter selbst der Sentimentalität, aber dann wieder weiß ich, dass es einfach die Wahrheit ist, wenn ich denke, das Leben sei ein Brunnen voller Leid, durch das die Menschen gehen müssen, ohne einen Tröster an ihrer Seite.

Ach, eine Freude gab es doch noch. Da fand jemand gestern auf seinem Gabentisch eine ganze Kiste, angefüllt nur mit Büchern von mir, die seine Frau ihm für das Fest zusammengekauft hatte. Er schickte mir noch in der Nacht das Foto, auf dem sein strahlendes Lächeln wohl als Maß für sein Erstaunen genommen werden darf. Natürlich heißt das auch zugleich, dass er in den letzten elf Jahren, in denen diese Bücher geschrieben und veröffentlicht wurden, keinen eigenen Antrieb verspürt haben kann, mal etwas von mir zu lesen. Aber daran will ich nicht denken.

Mögen alle lebenden Wesen
von Leiden frei sein
wünscht PHG

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker