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Kinder der Bosheit

Dass alles Schreiben letztlich um ein Ungeschriebenes kreist, möglicherweise gar um etwas, das gar nicht geschrieben werden kann und darf, sodass jedes tatsächlich zu Papier gebrachte Werk gewissermaßen als Vorspiel zu einem abwesenden Werk betrachtet werden muss, begreift niemand schmerzhafter, als der Autor, der sich mit der Erkenntnis konfrontiert sieht, dass er an einer Roman-Trilogie oder gar einer noch größeren Form eines erzählerischen Zyklus arbeitet.

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Nun sind wirkliche Romane sowieso das Produkt eines jahrelangen Wachstums, da in ihnen menschliche Erfahrung derart kondensiert, dass der Prozess der Verdichtung mitunter wie unter der Zeitlupe vor sich geht. Wäre dem nicht so, so könnten sie dem späteren Leser auch keine Erfahrung vermitteln. Aber eben dies ist Aufgabe der Kunst, ist Funktion wirklicher Literatur.

Wenn dem aber schon bei einem einzigen Roman so ist, wer wird dann die Hybris besitzen, sich gleich eine ganze Trilogie als Schreibziel vorzusetzen. Dies wäre in der Tat eine extreme Form der Selbstüberschätzung. Abgesehen von Autoren, die gewohnheitsmäßig Trivialliteratur produzieren, tut es deshalb in der Regel auch niemand. Der österreichische Autor Gerhard Roth etwa hat an seinen beiden Zyklen »Die Archive des Schweigens« und »Orkus« zum Beispiel 32 Jahre lang geschrieben. Das war also eine Lebensaufgabe, so etwas nimmt man sich nicht einfach mal vor.

Romanzyklen entstehen vielmehr trotzdem, weil der Autor während der Arbeit an einem Text gewissermaßen die Existenz der noch abwesenden Texte zu spüren beginnt. Das ist freilich etwas anderes, als die Feststellung, dass die Handlung eines Buches zu umfangreich für einen einzelnen Band auszufallen droht, sodass man sich flugs entscheidet, daraus eine Trilogie zu machen. Roman-Trilogien sind keine Fortsetzungsgeschichten, auch wenn die Fortsetzungsvampire der Genre-Literatur diesen Begriff längst so nachhaltig usurpiert haben, dass der durchschnittliche Leser gar keine andere Vorstellung damit mehr verbindet.
Meist sind die verschiedenen Bände eines Romanzyklus gar nicht direkt miteinander verbunden. Sie lassen sich unabhängig voneinander lesen, können zu verschiedenen Zeiten spielen und ganz unterschiedliches Personal auftreten lassen, denn ihre Zusammengehörigkeit entsteht über ein komplexeres und in der Regel weit weniger vordergründiges Gefüge. Für meine Deutschland-Trilogie, die mit dem Erscheinen der Neufassung des Romans »Kinder der Bosheit« im Frühjahr erstmals komplett vorliegen wird, ist das ein in doppelter Hinsicht thematisch/zeitgeschichtlicher Zusammenhang, ohne dass die Bücher einander in irgendeiner handlungsorientierten Weise fortschreiben.

Meine Deutschland-Trilogie entstand, wenn ich lediglich die Erscheinungsdaten betrachte, im Verlauf von 30 Jahren, nimmt man die Entstehungszeiten genauer ins Auge, dann sogar innerhalb von 38 Jahren. Dass Bücher Schicksale haben, lässt sich nicht zuletzt an solchen Zahlen recht gut ablesen.

Das war vor allem auch deshalb so, weil 2011, als der Roman »Calvinos Hotel«, der den abschließenden Band der Deutschland-Trilogie bildet, erschien, die beiden ersten Bände längst nicht mehr auf dem Markt verfügbar waren.

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So hatte ich also eine Trilogie abgeschlossen und hatte doch keine. Es ist vor allem dem Kulturmaschinen Verlag und seiner nimmermüden Verlegerin Simone Barrientos zu danken, dass das nun anders geworden ist. Von allem Anfang an, als sie »Calvinos Hotel« in ihr Programm aufnahm, war es ihre Absicht, auch die ersten beiden Bände wieder verfügbar zu machen. Beim ersten Band »Seelenlähmung« gelang das sehr schnell, nämlich schon im Jahr darauf, obwohl ich ihn für diese Ausgabe erst durchsehen musste.

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Dass wir mit dem zweiten Band »Kinder der Bosheit« bis zum Frühjahr 2015 gebraucht haben, in dem nun endlich alle 3 Bände gemeinsam vorliegen, hat vor allem damit zu tun, dass ich erstens eine komplette Neufassung des Buches geschrieben habe, zweitens zwischendurch auch mein Roman »Das Herz des Hais« erschien, was ebenfalls nicht ohne viel Arbeit abging, und der Verlag drittens von Berlin nach Ochsenfurt umzog.

Alle drei Bände der Deutschland-Trilogie haben deutsche Geschichte in Vergangenheit und Gegenwart zum Thema. »Seelenlähmung« erzählt vom Zweiten Weltkrieg und spannt dabei den Bogen bis in die 70ger Jahre des Deutschen Herbstes. Der jetzt erscheinende Roman »Kinder der Bosheit« beginnt in der frühen Nachriegszeit und verlängert die Perspektive dann bis in die Mitte der 80ger Jahre. Während der Abschlussband »Calvinos Hotel« einen Zeitraum von über 50 Jahren umfasst und die Geschichte bis in die Zeit des Bosnienkrieges, Mitte der 90ger Jahre, fortführt.

Als ich mit diesen Bücher begann, da war nicht abzusehen, was daraus eines Tages werden konnte. Und ich wäre selbst der erste gewesen, der abgewehrt hätte, wenn mir ein hellsichtigerer Mensch gesagt hätte, dass ich an einer Trilogie schrieb, die in immer neuen Anläufen ein halbes Jahrhundert Deutscher Geschichte zu erfassen versucht. Aber andererseits hat mich eben während all der Jahre der Arbeit daran auch das Gefühl der Anwesenheit des noch nicht Geschriebenen nicht verlassen, sodass ich einfach weitermachen musste.

Für die Deutschland-Trilogie ist dieses Gefühl nun fort. Es wird kein weiterer vierter etc. Band mehr nachfolgen; ich räume gegenwärtig nur noch die Werkstatt auf. Aber da ist ja auch noch der Roman »Das Herz des Hais«, der 2012 erschien und

Hai175
hartnäckig behauptet, er sei nur der erste Teil einer Familien-Trilogie. Der zweite Band, den ich meinen ›Bruderroman‹ nenne, wurde in einer ersten Fassung kurz vor Weihnachten fertig. Und der dritte … nun, der ist schon mal gescheitert, aber es gibt Anfänge …

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Peter H. E. Gogolin: Erzähler, Roman-Autor, Stücke- und Drehbuchschreiber, Lyriker